Die Covid-19-/Corona-Pandemie hat auch in der Linken zu einer zunehmend unüberschaubar gewordenen Zahl von Veröffentlichungen Anlass gegeben: von Kommentaren über Artikel und Artikelreihen in Zeitungen und Zeitschriften bis hin zu Sammelbänden und Monographien und Podcasts. Die inhaltliche Ausrichtung variiert, wenig überraschend, stark, von medizinischen und gesundheitspolitischen Beobachtungen, von gesellschaftspolitischen wie kapitalismuskritischen Analysen bis hin zu Fragen von Klassenkampf, linker Politik, Widerstand und Krisenbewusstsein, teilweise auch mit länderspezifischen Zuschnitten[1]. Es formieren sich mit zunehmender Geschwindigkeit auch linke Strategieforderungen und Aufrufe zur internationalen Solidarität. Als besonders bemerkenswert in der Fülle fiel dabei der Ende 2020 übersetzte Band „Klimax“[2] von Andreas Malm auf, dessen englischer Originaltitel verrät, worum es geht: „Corona, Climate, Chronic Emergency. War Communism in the Twenty-First Century“[3].
Dem Autor gelingt es, die Corona-Pandemie in eine Analyse des globalen Zusammenhangs von Kapitalismus und Klima, ferner auch Klassenverhältnissen, Eigentums- und Ernährungsfragen und schlussendlich einer Strategie gegen die Krisenentwicklungen einzubinden. Dieses Geflecht ist gleichzeitig unbeabsichtigt ein wichtiger Beitrag zur Diskussion um die sogenannten Vielfach- oder Multiple-Krisen, wie sie seit rund einem Jahrzehnt im deutschsprachigen Raum geführt wird[4]. Denn der Autor liefert ein überaus gelungenes Beispiel dafür, wie man verschiedene Krisen in ihrem Zusammenhang und Zusammenwirken, auch in kausaler Hinsicht, analysiert und darstellt, ohne sie bloß miteinander zu addieren. Malm verliert die verschiedenen Verästelungen nicht aus den Augen, sondern bewahrt den Fokus auf das strukturierte Ganze der globalen kapitalistisch verfassten Gesellschaft. Besondere Aufmerksamkeit widmet er dabei der räumlichen und zeitlichen Entwicklung sowohl der Corona-Pandemie als auch dem Klimawandel und verbindet dies mit der Analyse kapitalistischer Entwicklung. Raum und Zeit sind dann wiederum elementare Analyseebenen der Multiplen Krisen. Andreas Malms Buch ist somit ein wichtiger Knotenpunkt für die linken Debatten.
Im Folgendem wird Malms Analyse dargestellt und der Versuch unternommen zu zeigen, wieso diese wertvoll für linke, antikapitalistische Debatten ist und wieso die Corona-Pandemie als Warnung für die Zukunft der Welt ernst genommen werden muss.
Malm hält treffend fest: Corona wird von der Politik als vorübergehend angesehen, es wird die Rückkehr zur Normalität geben (11). Viele Maßnahmen von Seiten des Staates wurden weltweit unternommen (12). Dabei wurde selektiert: system-relevant vs. nicht-system-relevant (13). In diesem Notfall der Corona-Pandemie wurden „Grenzen des Privateigentums eingerissen“, es kam zu Verstaatlichungen oder zumindest staatlichen Beteiligungen (16). Auch das „fossile Kapital“ ist betroffen: zeitweilig war Fracking nicht mehr lohnenswert
, wurde eingestellt oder geplante Investitionen nicht mehr getätigt oder verschoben (17). Es kam auch zu einem Rückgang der Emissionen, vor allem in China war dieses Phänomen zu beobachten (18). In den Medien und in der Politik kam Kriegsrhetorik zur Anwendung (18f.) usw.
Auffällig dabei ist, dass die Corona-Pandemie (und die Reaktionen auf diese) als Krieg angesehen und in den Handlungen entsprechend angegangen wurde, dies bei der Klimakrise gerade nicht der Fall war (20). Dabei sollte seiner Meinung nach der Klimawandel nicht als ein gradueller Prozess begriffen werden, sondern eher als „Erdrutsch“, der alles niederreißt (25f.). Der Klimawandel ist ein „lang anhaltende[r] Trend“, „der über Jahrzehnte und Jahrhunderte andauert“, und ist eben nicht auf eine „lineare […] Kausalität“ herunter zu brechen (27).
Eine Erklärung für diese Ungleichbehandlung der zwei Krisen ist, dass beim Klimawandel zunächst vor allem Arme betroffen sind. während Corona tendenziell alle trifft. Hier hat es global gesehen die ersten Toten auch im globalen Norden gegeben, was wiederum auch der Grund für das staatliche Handeln ist (32). Erst dadurch erfolgt der Schutz des Lebens vor dem Schutz „der kapitalistischen Volkswirtschaften“, was zeigt: es gibt doch eine gewisse „Achtung vor dem Leben“ (38).
Der Krieg gegen Corona dient dem Schutz der nationalen Bevölkerung. Der Krieg gegen den Klimawandel würde hingegen auch andere Bevölkerungen betreffen und ihnen helfen. Es wäre ein Krieg auch für die Armen (40).
Corona und Klimawandel „teilen eine strukturelle Eigenschaft“: Die „Summe der Todesopfer“ ist eine „Funktion der Summe des Handelns oder Nichthandelns seitens der Staaten“ (ebd.).
Vorgeschlagene Senkungen von Emissionen und andere Ideen im Kampf gegen den Klimawandel wurden als unrealistisch, als zu teuer etc. angesehen, in Sachen Corona hingegen klappen diese Dinge dann aber doch (41f.). Dabei erfolgt die Durchsetzung der Maßnahmen durchaus mit Zwang und Lockdown, alles in allem gibt es kaum große Widerstände (43f.). Malm fordert nun, dass so ein Klimanotstandesprogramm her müsse und angesichts der Maßnahmen gegen Corona auch nicht länger unrealistisch sei (44).
Corona ist „nicht per se […] Abfallprodukt des Profitstrebens”, nicht „unmittelbar den Schloten der Akkumulation“ entsprungen. CO2 hingegen ist „Abgas des materiellen Substrats der Mehrwertproduktion – der fossilen Energie“ und somit „Koeffizient der Macht“ (45). Dass CO2 freigesetzt wird, ist im Kapital-Interesse begründet. Malm fordert die „Stilllegung des fossilen Kapitals“ und zwar mit „Kriegskommunismus“ als Plan und Mittel (46).
Zum Zusammenhang von Corona und kapitalistischer Naturausbeutung hält Malm fest, dass die „reichhaltigen pathogenen Sammelbecken“ für Viren, vor allem die Tropenwälder, systematisch ausgebeutet wurden, was wiederum der Ursprung für das Übergehen bestimmter Viren auf Menschen, über Zwischenwirte, ist (49). Seit Dekaden ist eine Zunahme der Infektionskrankheiten mit Spillovern zu beobachten. Das Kapitalozän ist der zugrundliegende, antreibende Mechanismus und Prozess (51), die Erreger werden in die Ecke getrieben (53).
Das Beispiel der Fledermäuse als Träger zahlreicher Viren und wie diese unter Druck geraten und dann eben auch an Schweine und Menschen übertragen werden, über den erzwungenen engeren Kontakt schildert Malm auf den Seiten 54 bis 75 eindringlich entlang entsprechender Forschungsarbeiten. Es sind staatliche vorangetriebene Entwaldungen und Umsiedlungen seit den 1990er Jahren, die hier eine entscheidende Wirkung entfalten (67). Es geht weiter um den Verkauf von Landrechten (67f.), seit den 200er Jahren um Anbau von Soja, Palmöl, Flächen für Rinder, um die Fleischprodiktion auszuweiten. Ebola ist ein frühes Beispiel einer Entwicklung auf Grund von zunehmender Nähe der Menschen zu Zonen mit einem Reservoir von Viren (73).
Mit Rob Wallace spricht Malm von der „Öffnung der Wälder für globale Kapitalströme“ – dies ist „eine Hauptursache“ für solcherlei Krankheiten wie Ebola und nun Corona. Es gilt zudem: je reicher man ist, desto größer ist der Anteil an der Ursache für die Prozesse (81). Es ist ein „ökologisch ungleicher Tausch“, der als „Triebkraft“ für dies alles wirkt (ebd.).
Genau diese Schilderungen und Analysen von Malm sind Ausdruck und Kennzeichen der „imperialen Lebensweise“ (wie sie von Ulrich Brand und Markus Wissen analysiert und ausformuliert wurde). Die von Stephan Lessenich 2016 beobachtete und treffend analysierte Sintflut neben uns schwappt jetzt – mit Corona als das bislang heftige, da wirklich globale Beispiel einer Erkrankung, die auf einem Spillover von Tier und Menschen zurückgeht, verursacht durch die kapitalistischen Prozesse und globalen Zusammenhänge, zurück zu uns über, direkt in die Kernländer des Kapitalismus. Corona wird in Malms Analyse zu einem drastischen Beispiel für die Zusammenhänge in einer globalisierten kapitalistischen Welt. Die Corona-Pandemie ist beispielhaft für das Wirken im Gefüge der Multiple Krise – ein Element führt zur Verschärfung verschiedener anderer Krisenmomenten und -prozesse und ist zugleich selbst Resultat der kapitalistischen Verhältnisse in ihrer Krisenhaftigkeit – hier der Umweltzerstörung, die eben selbst neue Krisen heraufbeschwören kann. „Nirgendwo sind die mit Wäldern in Kontakt tretenden und dabei Krankheitserreger extrahierenden Kräfte so groß wie in den zentralen Knotenpunkten des Kapitals“ – New York, London, Hongkong (83).
Das es nun zu einer solchen globalen Pandemie kommen würde, wurde schon länger prognostiziert und China war auch eines der erwarteten Kandidatenländer als Ausbruchsort (91f.). China ist „Wiege dieser Krankheit“, „weil [hier] globale Tendenzen in konzentrierter Form bereits vorhanden“ sind. Gemeint sind: Fleischkonsum, Schrumpfung von Lebensräumen, Ausbreitung der Menschen, fokussierte Urbanisierung, Wirtschaft, die sich weiterhin globalisiert (92). Traditionelle Lebensweisen, vor allem auf Lebensmittel bezogen, werden kapitalistisch ausgeweitet (93f.).
Die sogenannten ‚wet markets‘ werden touristisch und für reiche Menschen erschlossen, dabei sind sie „Brutstätten der Zoonosen“, gekennzeichnet von Enge und Artenvielfalt an Tieren. So ist auch bereits SARS entstanden und verbreitet worden (95).
Räumlichkeit und Zeitlichkeit sind die zentralen Dimensionen (107) und das wiederum historische Beispiel ist die ‚Spanische Grippe‘ (108) – sie wurde durch den Transport von Truppen ein globales Phänomen. Und Corona ist ein heutiges Beispiel dafür, was es bedeutet, in einer globalisierten Welt zu leben. Die Entwicklung der Luftfahrt hat zur Vervielfältigung der Übertragungswege und Ausgangspunkte der Übertagung geführt. Es ist die Entwicklung der Mobilität von Menschen und Waren (110).
Zugespitzt formuliert Malm, Corona ist von „Öl und Flugzeugen angetrieben“, und er spricht nun von seiner Analyse als einer „Theorie des parasitären Kapitalismus“ (112). Weitere Elemente in diesem Gefüge sind die Viehwirtschaft, Tourismus, Antibiotika etc. und prinzipiell die industrielle Tierhaltung, in der Tier grundlegend gestresst sind, und somit auch anfällig werden als Träger für Krankheiten (ebd.).
Die „Zeit-Raum-Aneignung plus Zeit-Raum-Kompression“ resultiert in „hohe[m] Risiko zoonotischer Pandemien“, denn „biophysikalische Ressourcen“ werden zu Waren (118). Auch Arbeitskraft wird in Richtung Norden ausgenbeutet, eine Aspekt der Externalisierung (119). In der kapitalistischen Entwicklung werden „räumliche Tendenzen“ mit höherer Geschwindigkeit „überwunden“ (120f.). Es handelt sich um eine die „kapitalistische Zeit- und-Raum-Produktion“ (121f.). Die tatsächliche Landnahme, das in den Kreislauf ‚einspeisen‘ ist der „Bauplan für Infektionen“, das Risiko und die Wahrscheinlichkeit für Pandemien steigt an (ebd.).
Covid-19 ist für Malm „eine Manifestation eines lang anhaltenden Trends […,] der parallel zum Klimawandel verläuft“ und es können und werden eben weitere Pandemien folgen (122), womöglich mit weitaus schlimmeren Folgen. Allerdings besteht keine Zwangsläufigkeit der Entwicklungen – es sind Brüche möglich, die Temperaturen werden entscheidend sein, aber vielleicht werden Fledertiere erneut als Kandidaten durch die von Klima und Raubbau erzwungene Ausweitung der Lebensräume relevant (134f.).
Zusammenfassend lässt sich festhalten: Corona/Covid-19 ist das Verbindungsstück zwischen kapitalistischen Reproduktionsbedingungen, den globalen Kapitalverhältnissen und dem Klimawandel, der selbst kapitalbasiert vorangetrieben wird. Malm bietet ein gutes Beispiel, wie Corona in ein Krisengefüge ‚hineinstößt‘ und dass die einzelnen Krisen eben nicht addiert werden können, sondern sie miteinander zusammenhängen, einander verstärken, Korridore der Möglichkeiten entstehenden – auch für neue Krisen, die mit den ‚alten‘ dann doch zusammenhängen. Diese Analyse ließe sich dann erweitern um den Aspekt des staatlichen Krisenmanagements, dass selbst wieder eigene Krisen hervorruft – Verarmung, Verzweiflung, Depressionen, Verschuldungen etc. Corona war eine Möglichkeit, die systemisch aktiviert wurde und die auf kapitalistische Bedingungen der Naturaneignung zurückzuführen ist.
Malm setzt trotzdem auf den Staat als zentrale Instanz für die nötigen radikalen Umwälzungen – ohne den Blick auf die damit verbundenen, durch Althusser und Poulantzas benannten Probleme zu verlieren, im Gegenteil. Malm ist kein naiver Romantiker, sondern Realist. Die Debatte um das Ganze der Multiplen Krise und ihrer ‚Lösung‘ ist eröffnet. Rosig sind die Aussichten nicht.
[1] Vgl. zu letzterem den auf Österreich fokussierten, lesenswerten Band Thomas Schmidinger, Josef Weidenholzer (Hg.): Virenregime. Wie die Coronakrise unsere Welt verändert. Befunde, Analyse, Anregungen, Bahoe Books, Wien 2020.
[2]Andreas Malm: Klimax. Matthes & Seitz, Berlin 2020.
[3] Andreas Malm: Corona, Climate, Chronic Emergency. War Communism in the Twenty-First Century“. Verso, London 2020.