Fast vergessen ist dieser seltsame Film, den der ebenso gefeierte wie umstrittene Emir Kusturica vom und mit dem ebenso umstrittenen wie gefeierten Diego Armando Maradona gemacht hat. Eine Erinnerung anlässlich des Todes von Maradona Ende Jahr 2020.
Und also machte sich 2012 der berühmte Regisseur Emir Kusturica, das serbische Naturtalent und damaliger Liebling der Kritiker:innen, der musikalische Verkünder eines frohen Balkans und der ehemalige Fussballer des FC Sarajevo auf, einen Film über Diego Armando Maradona zu drehen. Und weil Kusturica, der grosse Dünne, den kleinen Dicken für die Dreharbeiten in Buenos Aires so oft verpasst hat, musste wohl er selber auch zum Protagonisten seines Films werden. So immerhin die Rechtfertigung des Meisters auf eine Frage in Cannes betreffend seiner Selbstinszenierung in diesem, wenn man sich ärgern will, machoid und selbstverliebt inszenierten Kollegenstreifen, der genau genommen nicht einmal dem Genre Männer-Freundschaftsfilm zugeschlagen werden kann. Dazu klappt und funkt es zuwenig zwischen dem Langen, der sein Genie nur durch die unerschöpfliche Faszination allen zweideutigen Dingen gegenüber fruchtbar macht und dem Kleinen, dessen Genialität nur in der Abwesenheit von solchem Firlefanz leuchten konnte. Auch die Annäherung an den „wahren Menschen“ Maradona misslingt aus diesem Grund, denn der, so die Vermutung nach den gezeigten Interviewsequenzen, gibt nichts her, was nicht die Medien schon verbreitet hätten. Das Minenspiel des Gefragten, gewöhnlich mystisch als Schlüssel ins Innerste aufgeladen und also Hauptbedeutungsfeld aller filmischen Portraits, fehlt bei Maradona weitgehend und lässt nur den Schluss zu: in diesem Gesicht lässt sich nicht lesen. Einzige symbolträchtige Bedeutungsträgerin ist die Abstellhalle, in der das lange Gespräch über Diegos Drogenleben stattfindet. Und wäre er ein Heiliger, was Kusturica einmal lange und mit einer Umständlichkeit erörtert, die vermuten lässt, dass er an diese Möglichkeit tatsächlich glaubt, so zeigte sie sich gerade darin, dass der Verehrte nicht darstellbar ist und sich der Inszenierung entzieht. Und wenn Kusturica mit der Vermutung, Andy Warhol würde heute statt Marilyn eher Diego gemalt haben, trotzdem recht hat, dann nur, weil Warhol, der alte Katholik, in Diego dieselbe menschliche Tragödie von übermenschlicher Popularität erkannt hätte, wie sie seine Monroe-Ikone adelt.
Hagiographie Maradonas
Was aber die eigentliche Geschichte betrifft, so erzählt Kusturica, und das erklärt das scheinbar Misslungene an dem Film, nicht den wahren Maradona, sondern das Wahre an ihm. Und damit wird der Regisseur zum Hagiographen, zum Verkünder einer Heiligenvita, die sich, wie der französische Kulturphilosoph Michel de Certeau in „Das Schreiben der Geschichte“ sagt, nicht auf „das, was geschehen ist, bezieht, wie es die Geschichte tut, sondern auf das, was beispielhaft ist.“ Und was also ist beispielhaft an diesem Fussballer? Die archaische von Kusturica ins Bild gesetzte Behauptung, dass Maradonas Wahrheit jenseits von gut und böse der kapitalistischen Wertegemeinschaft liegt und sein Charakter eine Art Naturrecht erinnert, das gegen die Welt der tausend falschen und scheinheiligen Möglichkeiten die Widerstandskraft der echten und leidenschaftlichen Alternativlosigkeit reklamiert. Mit Maradona lässt sich beispielhaft ein Mensch zeigen, der nicht anders kann und niemals anders wird können, der in der doppelbödigen Geldgesellschaft nie heimisch wird, weil er ihrer Kulturtechniken Ironie und Zynismus nie wird mächtig sein. Dieses Defizit schaffen 20 Jahre Golfspiel nicht weg und auch nicht seine groteske Bewunderungssucht. Kusturica hat untrüglich gespürt, dass seine Faszination für Maradona letztlich in dieser Resistenz besteht. Und er hat sie ungeniert inszeniert, ungeachtet aller anderen „Wahrheiten“ über dessen Leben, wie die fast zeitgleich in Buchform veröffentlichte Anklage des vom Vater verleugneten Diego Armando Maradona junior. Deshalb besteht das Pathos seines Films im einfachen, dreifachen Ruf: Ecce Maradona, ecce Homo, ecce Prolet – in dieser Reihenfolge.
Alternativlosigkeit als pièce de résistance
Kusturica zeigt, dass es gerade die Alternativlosigkeit des Proleten Diego ist, die ihn sogar zu einem Protagonisten jener Bewegung werden liess, die gegen die von den Neoliberalen behauptete Alternativlosigkeit der kapitalistischen Globalisierung, ihr vages „Eine andere Welt ist möglich“ ins Feld führt. Die innere Kraft und Kreativität des Widerstandes speist sich dort, wo sie möglich wird, nur aus der existentiellen Alternativlosigkeit der Proleten, die an einem bestimmten Punkt nicht einfach nur nicht mehr wollen, sondern einfach nicht anders können. Wo immer gegen die von den Herrschenden gepredigte Alternativlosigkeit eine Alternative erkämpft wird, geschieht das nur aus dieser Position der Ausweglosigkeit heraus. Maradonas drei einzige Sätze, die er bei der Gegendemo der Basisbewegungen zum Gipfeltreffen der amerikanischen Staaten 2005 in Mar del Plata ins Mikrofon sprach, lassen sich in diese Richtung lesen. „Ich liebe euch. Argentinien ist großartig. Wir müssen Bush loswerden.“ Das, was die herrschenden Interpretatoren der Lebensstile unterer Schichten mangelnde Flexibilität oder Nostalgie zu nennen gewohnt sind
, kann sich unter den Bedingungen des destruktiven Wandels unserer Zeit als resistenter Überrest alter Humanität erweisen. Das Rückständige kann plötzlich die Kraft sein, die vorwärts treibt. Wenn Kusturica in diesem Sinn mit Maradona aufs Volk setzt, dann in der Hoffnung, es liessen sich damit die alten, verdrängten und unterdrückten Mächte gegen die neuen im Namen des humanen Fortschritts mobilisieren. Das ist das Recht der romantischen Schlagseite, an der es in allen seinen Filmen nicht fehlt, umso mehr als sich bisher immer nur die Rechten dieser Einsicht bedienten. In „Chat noir – Chat blanc“ war es Matko der Roma, der sich selber beim Kartenspiel betrügt und trotzdem gewinnt, hier ist es Maradona, der als eine Art Prometheus im Bündnis mit der vielfach besungenen, aber nicht mehr mächtigen Natürlichkeit oder Kindlichkeit protestiert gegen die herrschende Ordnung der olympischen Götter und dafür wie im Mythos an der Leber leiden muss.
Der linke Fuss
Erster und tatsächlicher Beweis für die Alternativlosigkeit als Ursache für Maradonas Genie und Tragik ist sein linker Fuss. Die im Film immer und immer wieder eingestreuten Spielszenen belegen auf eindrückliche Weise, wie Maradona auf diesen einen Fuss festgelegt ist, wie er alles nur mit ihm machen muss und wie vollendet und liebenswert seine Kunst erst aufgrund dieser Einschränkung geworden ist. Den höchsten Kunstgenuss bietet dabei der Aussenristpass oder –schuss, obwohl gerade er ja nur die Verlegenheitslösung der Einfüssigen ist. Weil man heute in der Juniorenausbildung auf die multioptionale Beidfüssigkeit Wert legt, ist der Aussenrist verboten und hat im Spitzenfussball Seltenheitswert, was das Spiel aber bisher nur reibungsloser, nicht schöner gemacht hat. Der linke Fuss ist darum das Symbol für den Zauber von Maradonas Popularität in Einfalt. Doch die bürgerliche Verachtung dafür kann solches nur mit der These vom dummen und verführbaren Mann aus dem Volk erklären und also mit dem für fremde Zwecke vereinnahmten Maradona, wie es exemplarisch die Frankfurter Allgemeine Zeitung im Anschluss an Maradonas Auftritt in Mar del Plata vormachte: „Jetzt mimt Maradona den Revolutionär. (…) Maradona betete die antiamerikanischen Parolen nach und ließ sich dazu hinreißen, Bush als ‘menschlichen Dreck‘ zu bezeichnen. Niemand hat dagegen protestiert. Maradona kann sich derlei Entgleisungen leisten. Eine unsichtbare Narrenkappe schützt ihn.“ (FAZ, 14.11.2005)
List der Unvernunft
Aber der Instrumentalisierungs- und Vereinnahmungsvorwurf wird von Kusturicas Bilderreigen entlarvt als elitäre Geschichtsbetrachtung, die sich die Tatsache, dass man einander braucht oder gebraucht nur als Machtkalkül und Missbrauch vorstellen kann, letztlich als Argwohn gegen allerhand Bündnisse, die sich die Menschen aus welchen Motiven auch immer nicht nehmen lassen. Kusturicas Absicht ist es dagegen, der äusseren Logik der Macht eine innere Gegenlogik gegenüberzustellen, gewissermassen eine List der Unvernunft. Denn wohl wahr ist, dass Maradona mit dem Geld der Mafia nach Neapel geholt wurde, aber auch, dass die zwei Meistertitel Neapels gegen die immer siegreichen Mailänder und Turiner Grossclubs im Norden nicht primär ein Sieg der Gomorra, sondern einer des Volkes im Süden war. Die zynische Formel von „Brot und Spielen“ oder vom nützlichen Ablenken der Armen von den wahren Problemen des Alltags, die dem kritischen Bürgertum gewöhnlich dazu einfällt, rechnet nicht damit, dass sich auch durch solche „erschummelten“ Siege hindurch, der echte Widerstandsgeist erhalten und erneuern kann. Anders Kusturica, der den Fussballer, der schon als Kind für die armen Bocas und nicht für die reichen von River Plate spielen wollte, der nach Barcelona und nicht nach Madrid und der nach Neapel und nicht nach Mailand gegangen ist und den sie vielleicht andernorts gar nicht hätten brauchen können, direkt kurzschliesst mit dem temporären Globalisierungs- und Bushkritiker Maradona.
Noch die berühmte Hand Gottes, mit der Diegito an der WM 86 sein Handstor gegen das seit dem Falklandkrieg verhasste imperialistische England gerechtfertigt hatte, ist vor diesem Hintergrund nicht das schalkhafte Schummeln eines Schlitzohrs, zudem er gar nicht fähig war, sondern tatsächlich ein Akt notwendiger Gerechtigkeit, ein Wunder wie wir in der Sprache der Heiligenvita, die wir in diesem Film vor uns haben, sagen würden.
Und schliesslich hilft diese fromme Sicht auf den, nüchtern betrachtet, immer noch und vielleicht hoffnungslos den Drogen verfallenen Menschen, den scharfsichtigen und der Religion ihren wahren Rang als Platzhalterin für die reale Befreiung der Menschen zuweisende Satz von Marx wieder einmal richtig zu zitieren: Denn Religion ist nach Marx vor allem Opium des Volkes, und nicht fürs Volk. Nicht primär etwas Manipulatives, von den Eliten beherrschtes, sondern etwas aus der Widerstandskraft des Volkes selber geborenes und insofern nach einer Entziehungskur für seine Befreiung brauchbares.
Maradona also, so die Botschaft, ist nicht die willenlose Marionette für die Interessen der Reichen, sondern ein zwar unbeständiges, aber durchaus brauchbares Maskottchen des Volkes.
Dass der Film naiv ist, ja geradezu obszön mit Naivität protzt, ist unbestritten. Naivität aber ist hier nichts weiter als die einzige Möglichkeit, in dieser Erzählung über Maradona Inhalt und Form zu versöhnen: für Kusturica ein Kunstgriff, für Maradona die Realität, für beide ein Bündnis gegen die immer drohende Entzweiung.