Das Leben und Wirken von Emmy und Roman Rosdolsky
Das vorliegende Buch ist in mehrfacher Hinsicht bemerkenswert: Es handelt sich um eine seltene Doppelbiografie, die eine große Lücke in der Rezeptionsgeschichte von Emmy und Roman Rosdolsky – einem Pionier der Marx-Forschung – endlich schließt, und zugleich eine Geschichte der Ukraine und des ukrainischen Nationalismus im 19. und 20. Jahrhundert ist. Außerdem ist es das Resultat einer jahrelangen kollektiven Arbeit, deren Wurzeln auf die Entstehung der beiden deutschsprachigen Wikipedia-Artikel über die Rosdolskys zurückreichen. Einer der beteiligten Autor_Innen hatte diese im Winter 2008 angelegt und beide auch bis zur Auszeichnung als lesenswerte Artikel gebracht – ganz explizit dankt er in der Einleitung den anderen beteiligten Wikipedia-Autor_Innen.
Das Buch ist chronologisch geordnet und beginnt mit der Jugend Rosdolskys im Lemberg der Jahre 1898 bis 1926, gefolgt von seinen Aktivitäten als politischer und historischer Autor. Häufig werden historische und biographische Exkurse zu Personen und Ereignissen bzw. Hintergründen aus dem Leben der Rosdolskys eingestreut, die nicht in allen Fällen in ihrem jeweiligen Umfang gerechtfertigt sind, da ein expliziter Bezug an mehreren Stellen zu den Biographien unklar bleibt.
Detailliert wird die jeweilige Politisierung der beiden nachvollzogen und wie sie den Aufstieg des Faschismus miterlebten, diskutierten und schließlich politisch bekämpften. Zu den eindringlichsten Schilderungen gehört die Zeit ihres Widerstandes gegen den Nationalsozialismus und Stalinismus. Beide stehen dem Trotzkismus nahe, ohne diesen als dogmatische Lehre zu verstehen. Sie überleben den Zweiten Weltkrieg mit viel Glück. Während Emmy aus der Verhaftung im Herbst 1942 durch die Gestapo wieder entlassen wird, durchläuft Roman ab Ende März 1943 mehrere Konzentrationslager. Ihr Sohn Hans wird im Januar 1943 geboren. Die Familie findet erst nach dem Mai 1945 wieder zusammen. 1947 entschließen sich die Rosdolkys aus Furcht vor der politischen Verfolgung durch den sowjetischen NKDW in die Vereinigten Staaten auszuwandern. Im November des gleichen Jahres kommen sie in New York City an und werden schließlich in Detroit sesshaft.
Interessant ist auch ein kurzes Kapital der Enkelin Diana, die über „Das Schweigen der Familie über Roman Rosdolskys KZ-Haft“ berichtet.
Emmy und Roman hegten im Laufe der Jahre ihres Exils den Wunsch nach einer dauerhaften Rückkehr nach Europa, allerdings konnten die dafür notwendigen Arbeitsstellen nicht auf Dauer realisiert werden. So war für Roman der Kontakt zur übrigen Welt größtenteils nur über Briefe zu verwirklichen. Mit Karl Korsch pflegte er eine freundschaftliche, intensive fachliche Auseinandersetzung über verschiedene Marxsche Manuskripte, deren Status im Gesamtwerk von Marx und über dessen Methode; gleiches gilt für Otto Morf. Neben Paul Mattick verband Roman mit Ernest Mandel eine tiefergehende Freundschaft, wobei sie sich harte politische Diskussionen lieferten, die die beiden zeitweise an den Rand des persönlichen Bruches brachten.
Dass es in den USA Emmy war, die einer geregelten Lohnarbeit nachging und damit Roman unterstützte, der dadurch überhaupt erst in der Lage war, sich seinen Studien zu widmen, hätte schärfer verdeutlicht werden müssen – zumal unklar bleibt, ob dieses Arrangement auf beiderseitigem Einverständnis zu Stande kam und Bestand hatte. Ebenso nebulös verbleibt der mehrmalige Hinweis darauf, dass sich Roman nicht um den Sohn kümmern konnte – mit dem Resultat, dass dieser in den USA in der Woche über in einem Kinderheim bleiben musste. Die genauen Hintergründe bleiben der Spekulation der Leserschaft überlassen. Gab es vielleicht auch psychische Gründe?
Hervorzuheben sind die gut geschriebenen ausführlichen, kenntnisreichen Darstellungen zum Werk von Roman Rosdolsky, die detailliert seine Bewegründe und Argumentationen nachzeichnen, allen voran der Abschnitt über seinen posthum veröffentlichten Klassiker über die Struktur und Geschichte des Marxschen Kapitel. Auch seine Überlegungen zum Nationalitätenproblem anhand des Beispiels der Ukraine und der damit verbundenen Kritik an Marx und Engels sowie zu stalinistischen Darstellungen werden vertieft diskutiert, ohne eine letztgültige Wahrheit in der Sache zu verkünden.
Negativ fällt ein pauschales Urteil über den aktuellen Stand der Marx-Forschung auf: Es wird behauptet, dass der „Frage der Methode einerseits und dem fragmentarischen, unvollendeten Charakter seines Opus“ – dem Kapital – in der Forschung „nach wie vor wenig Platz eingeräumt“ werde. Ganz zu Recht wird hier auf die diesbezüglich Pionierarbeit von Rosdolsky verwiesen, aber welche Forscher_Innen hier genau gemeint sind, bleibt unklar – eine Benennung hätte nicht geschadet.
Aufgrund einer Erkrankung konnte Roman Rosdolsky sein Referat auf dem Kongress “100 Jahre Kapital” in Frankfurt/M. nicht mehr selbst halten. Kurz darauf verstarb er am 20. Oktober 1967 in Detroit. Erst posthum erschien mit Zur Entstehungsgeschichte des Marxschen Kapital sein Hauptwerk, das bis heute eine wichtige Referenz darstellt.
Emmy überlebte ihren Mann um mehr als drei Jahrzehnte. Sie kehrte 1971 nach Wien zurück, verfasste u.a. Vorworte zu den Büchern von Roman und verstarb dort am 3. September 2001.
Den Band beschließt eine gewinnbringende, umfangreiche Literaturliste zu allen politischen wie historischen Aspekten der Doppelbiographie.
Rosdolsky-Kreis: Mit permanenten Grüssen. Leben und Werk von Emmy und Roman Rosdolsky. Wien Mandelbaum Verlag 2017., 453 Seiten, € 20.00