Krisen im Kapitalismus: Grundlagen, Zusammenhänge, Ursachen. Ein Problemaufriss[1]*

Das Thema Krisen nimmt seit einigen Jahren in öffentlichen Diskursen und insbesondere in den Massenmedien einen festen Platz ein. (Zu) oft wird etwas als Krise bezeichnet, ohne dass klar wird, was genau Krisen sind. Gleichzeitig werden in Bezug auf Krisen drastische „Lösungsmaßnahmen“ von politischen und ökonomischen „Entscheidungsträger_innen“ eingefordert und z.T. auch umgesetzt. Die Folgen von Krisen sowie einige ihrer „Lösungsversuche“ werden zwar immer offensichtlicher, ihre Hintergründe bzw. Ursachen bleiben aber oftmals unterbelichtet; und auch durch den inflationären und teils nebulösen Gebrauch des Krisenbegriffs wird ideologischen bzw. propagandistischen Missbräuchen ein fruchtbarer Nährboden geliefert.

So stellen sich nicht nur Fragen nach unterschiedlichen Krisenverständnissen und in welchen Interessen Krisen gelöst werden (sollen); die Bestimmung des Verhältnisses von Krise und Normalität sowie die Analyse von Zusammenhängen und Hintergründen von Krisen (und Scheinkrisen) bedürfen wissenschaftlicher Gesellschaftskritik. Eine Klärung des Begriffs und vor allem der Ursachen von Krisen sind m.E. notwendige Voraussetzungen, um nachhaltig emanzipatorische Auswege zu erkennen.

Im Folgenden wird auf drei „Stufen“ anhand einer politisch-ökonomisch begründeten Strukturanalyse kapitalistischer Gesellschaften sowie einiger signifikanter Beispiele von Krisen ein Ansatz zur Aufschlüsselung der Krisenproblematik versucht:[2]

  1. Was sind Krisen? Begriffliches (1.1) und Ideologisches (1.2)
  2. Entwicklungszusammenhänge ökonomischer und politischer Prozesse – Bedingungen von Krisen [Historisches (2.1) und Strukturtheoretisches (2.2)]
  3. Krisenkategorisierungen und strukturelle Lösungsansätze

1. Was sind Krisen?

1.1 Begriffliches

Vorausgesetzt Begriffe haben den Sinn, Substanz zu bezeichnen bzw. zu benennen, u.a. um als Instrumente zur Gesellschaftsanalyse dienen zu können, muss man zum Verständnis von Krisen bzw. um den Begriff Krise mit Sinn zu „füllen“ ihre reale Substanz bestimmen. D.h. um Ereignisse, Zustände oder Prozesse als Krise oder als Scheinkrise erkennen zu können, muss man den Krisenbegriff präzisieren – was genau heißt Krise? Man muss ihn spezifizieren – worauf bezogen reden wir von Krisen? Und man muss ihn konkretisieren, also was ist der Inhalt oder der Gegenstand von Krisen?

Unabhängig von ihrem konkreten Gehalt sind Krisen zunächst qualitative Umschläge bzw. Wendungen, die zu Abweichungen von Normalitäten i.d.R. zu etwas Ungewolltem führen. Zuviel oder Zuwenig von etwas führt ab einem gewissen Kipppunkt zu qualitativen Veränderungen, und das gilt für Prozesse in der Gesellschaft und der Natur[3] ebenso, wie für einzelne Individuen. So ist zumeist eine gewisse Minimalsumme an Geld erforderlich, um der materiellen Armut – also einem „Zustand“, der i.d.R. zu Krisen führt – entgehen zu können. Ein Erdbeben führt erst ab einer gewissen Stärke zu Zerstörungen, also zu einer anderen Qualität; und der/die Einzelne wird erst ab einer bestimmten Menge an Schadstoffen von einer/m Gesunden zu einer/m Kranken.

Der Bezug, den Subjekte zu Krisen haben, ist ihre Betroffenheit im weitesten Sinn. Wenn also von krisenhaften Zuständen bzw. Prozessen die Rede ist, heißt das, dass Subjekte zumindest von diesen wissen oder sie (selbst) erfahren. Krisen können weitere qualitative Veränderungen durchlaufen, z.B. indem sie sich zu Katastrophen oder Kriegen steigern.

Die Substanz von Krisen verweist demnach auf Dynamiken und der Begriff der Krise relativiert sich an der Normalität. Eine Verstetigung bzw. eine längere Dauer von krisenhaften Prozessen oder Verhältnissen kann sich aber zu neuen Normalitäten entwickeln, die dann oftmals nicht mehr als Krise interpretiert werden, obwohl ihre Substanz sich nicht veränderte und ihre (krisenhaften) Wirkungen weiterhin fortbestehen. Hierdurch wird die ausschließliche Bestimmung von Krisen über ihre konkreten Inhalte unzureichend. D.h. durch die Permanenz von Zuständen oder Prozessen werden Krisen (über die begrifflich widersprüchliche „Brückenbezeichnung“ Dauerkrise) zu (neuen) Normalitäten, ohne dass sich substanziell etwas verändert hat, bzw. ohne dass die mit einer Krise verbundenen Probleme gelöst wurden.[4]

Krise ist ein zeitlich und räumlich relativer Begriff, der bezogen auf vorherige Phasen und relativ zu anderen Orten definiert. Einige Beispiele sollen das verdeutlichen:

Die häufig wechselnden Regierungen in Italien der 1970er und -80er Jahre wären in der Bundesrepublik als Regierungskrise definiert worden, in Italien galt das vielen als politische Normalität.[5] Eine Überschwemmung ist oftmals eine regionale Krise; bleibt ein Gebiet aber dauerhaft überschwemmt, werden daraus allmählich neue, sowohl ökologische, als auch (in Bezug auf die Folgen) soziale und ökonomische Normalitäten.

Krise ist auch in Bezug auf soziale Verhältnisse ein relativer Begriff, d.h. ein unterschiedlicher sozialer oder ökonomischer Status, oder unterschiedliche Interessen und Bedürfnisse führen zu unterschiedlichen Krisenverständnissen. Deutlich wird das am Beispiel so genannter Rationalisierungsmaßnahmen: Aus Sicht der Kapitalunternehmen werden diese Maßnahmen, die oftmals mit Entlassungen von Lohnarbeiter_innen verbunden sind, auch als Krisenlösungs- oder Krisenpräventionsstrategien bezeichnet. Die hiervon Betroffenen können im Gegensatz dazu, insbesondere im Zuge schwindender sozialer Sicherungssysteme, in eine Krise stürzen. Umgekehrt werden hohe Löhne einerseits als soziale Errungenschaft interpretiert, auf der anderen Seite als Standort- bzw. Wettbewerbsnachteil, der Krisen befördern kann. Die Definition von Krisen und Krisenpotenzen kann also auch an soziale Strukturen und Klassen(standpunkte) – hierauf gehe ich später noch näher ein – oder auch an kapitalistische Naturverhältnisse geknüpft sein, was das Beispiel der Piraterie an der somalischen Küste verdeutlicht:

Einerseits führt das Kapern von Schiffen am Horn von Afrika u.a. zur Verringerung des Schifffahrtaufkommens und der industriellen Massenfischerei, was zur Erholung des lokalen marinen Ökosystems und zur Verbesserung der Ernährungssituation der dort ansässigen Fischer_innen beiträgt; andererseits verlangsamt die dortige Piraterie die Warenumschlagsgeschwindigkeit, wodurch der Kapital(rück)fluss stockt. Die Kapitalumschlagsgeschwindigkeit[6] verlangsamt sich, woraufhin militärische Interventionen zur Sicherung der Warenketten bzw. des Kapitalflusses[7] – teils „getarnt“ als humanitäre (Hilfs)Aktionen –, oder sogar Strategieänderungen in Bezug auf die ökonomischen Investitionsfelder folgen können.

Die Krisen(potenzen) der einen sind somit nicht notwendig auch die Krisen der anderen; Gegenteiliges kann der Fall sein. Was einerseits zu Krisen führen kann, kann andererseits zur Lösung von Krisen beitragen. Es ist also keine fixe, universell geltende oder überzeitliche, für alle gesellschaftlichen „Gruppen“ gleichermaßen geltende Krisenbestimmung möglich.

Politisch und mit dem Anspruch emanzipatorischer Veränderungen verbunden spielt es demnach keine Rolle, ob etwas als Krise oder Normalität bezeichnet wird. Wenn damit Verhältnisse benannt werden, die z.B. Armut, Demokratieabbau oder Naturzerstörung hervorbringen, gilt es, diese (u.U. zur Normalität gewordenen Verhältnisse) zu verändern. Normalität ist somit nicht per se legitim. Im Gegenteil: Erweist sich eine Normalität als eine, die o.g. ökonomische, politische oder ökologische Probleme hervorbringt, ist Widerstand gegen eine derartige Normalität zumindest gerechtfertigt.

1.2 Ideologisches

Krisen sind Gegenstand öffentlicher Auseinandersetzungen, die sich im Spannungsfeld kritischer Analysen und massenmedialer Propaganda und Ideologien bewegen. Das folgende Beispiel soll zeigen, dass Prozesse oder Zustände im Interesse bestimmter Gruppen zu Krisen umgedeutet werden bzw. reale Krisen in bestimmte Richtungen interpretiert werden.

In der Berliner Rede des ehemaligen Bundespräsidenten Deutschlands Roman Herzog von 1997,[8] die durch den Satz „Durch Deutschland muß ein Ruck gehen.“ bekannt wurde, wird teils explizit, teils im neoliberal geschwängerten Subtext, Krise mit mangelndem ökonomischen Wachstum und internationalen Wettbewerbsnachteilen gleichgesetzt. Gründe dieser von ihm so genannten Krise sieht Herzog u.a. in der bürokratischen und sozialen Überregulierung des Staates und in mentalen Blockaden der Lohnarbeiter_innen. Er sieht dementsprechend die Lösungen u.a. in deregulierten, so genannten flexibilisierten sozial-ökonomischen Verhältnissen, mehr Wettbewerbsverhältnissen, „permanenter Innovation als Daueraufgabe“ und „mehr Unternehmensgeist“,[9] sowie in einer Verkürzung der Bildungs- bzw. Ausbildungszeiten, womit er Ziele der sogenannten „Bologna-Reformen“ und die dadurch beförderte „unternehmerische Hochschule“[10] affirmativ vorwegnahm. Er macht(e) sich somit faktisch zum Sprachrohr von Kapitalinteressen, also einer gesellschaftlichen Fraktion, deren Aufgabe nach Herzog unter anderem darin besteht, ihr Elitenprofil zu schärfen. Gleichzeitig suggeriert seine Krisenrhetorik ein gemeinsames Interesse: „Wenn alle die vor uns liegenden Aufgaben als große, gemeinschaftliche Herausforderung begreifen, werden wir es schaffen. Am Ende profitieren wir alle davon.“[11]

Die Illusion einer derartigen „Win-win-Entwicklung“ wird hier als mögliche Realität vermittelt. Sozial-ökonomische Verhältnisse, die sich wesentlich auf Grundlage widersprüchlicher Interessen konstituieren, werden zugleich ignoriert sowie bestehende Herrschaftsansprüche „zementiert“. Krisenzusammenhänge und -ursachen werden durch die Darstellung der Gesellschaft als Einheitskörper, welcher von gleichgerichteten Interessen in Richtung von Freiheit, Wachstum und (vermeintlichem) Wohlstand zusammengehalten wird, verschleiert. Freiheit, Wachstum und Wohlstand bleiben hierbei abstrakt, wodurch ein gesellschaftlicher Konsens erwirkt werden soll. Der „ideologische Kern“ dessen liegt darin, partikulare Interessen bestimmter gesellschaftlicher Gruppen nicht als solche öffentlich zu nennen und als gesamtgesellschaftliche auszugeben. So werden nicht nur bestimmte Kritikrichtungen und -tiefen sowie soziale Widerstände delegitimiert, darüber hinaus wird der Klassencharakter kapitalistischer Gesellschaften ignoriert. Die politische Rede hat so ideologische resp. manipulative Funktion und führt zu „falschem Bewusstsein“ von gesellschaftlichen Realitäten.[12]

Darüber hinaus tragen derartige Ideologisierungen m.E. zu einer inflationären Verwendung und somit zur „Entwertung“ des Krisenbegriffs bei. Reale Krisen und Scheinkrisen werden so gleichermaßen bzw. undifferenziert als Problem benannt, was ihre Unterscheidung erschwert.

2. Entwicklungszusammenhänge ökonomischer und politischer Prozesse – Bedingungen von Krisen (Historisches und Strukturtheoretisches)

Es gibt unterschiedliche reale Krisen: Ökonomische Krisen, wie z.B. Finanz- oder Überproduktionskrisen, ökologische Krisen, wie z.B. die Klimakrise, und politische Krisen, wie z.B. Regierungskrisen. Es gibt auch individuelle, psychische oder soziale Krisen, die oftmals ökonomischen, politischen und anderen Krisen folgen. Es gibt Krisen, die nicht als solche bezeichnet werden, und es gibt umgekehrt auch Scheinkrisen, d.h. Ereignisse und Prozesse, die zur Krise „aufgebläht“ werden. Krisen und Scheinkrisen existieren auf vielfältige Weisen und auf unterschiedlichen Ebenen. Ihre genaueren Bestimmungen werden sowohl an subjektiven Zuständen als auch an objektiven Faktoren – an Naturzuständen, an den Schulden öffentlicher Haushalte oder anderen ökonomischen Parametern, wie z.B. am fehlenden oder zu geringen Wachstum[13], an der Erwerbslosenquote oder der Inflationsrate – versucht.

Die Identifikation von Krisenfeldern ist notwendig, aber zur Ursachenanalyse nicht hinreichend, und vorausgesetzt, dass Krisen nicht aus sich selbst heraus entstehen, sondern wesentlich als Resultate bzw. Folgen von spezifisch zusammenhängenden Verhältnissen und Strukturen zu begreifen sind, ist es zur Entschlüsselung ihrer Hintergründe erforderlich, auch diese zu identifizieren. Im Folgenden werden Entwicklungszusammenhänge von ökonomischen und politischen Prozessen seit dem Zweiten Weltkrieg näher betrachtet, die maßgeblich für die Entstehung und Überwindung von Krisen sind und zu historischen Umbrüchen innerhalb kapitalistischer Gesellschaften führten.[14]

2.1 Historische Umbrüche und Krisen aus politisch-ökonomischer Sicht

Im Zuge einer Krisenbewältigungsstrategie bildete sich zunächst in den USA und nach dem Zweiten Weltkrieg zunehmend auch in den anderen kapitalistischen Industriestaaten ein neues Akkumulationsregime heraus. Die Ausdehnung der Konsumgüterindustrie, eine sich entwickelnde Binnenmarktorientierung, Lohnsteigerungen auf breiter Ebene gepaart mit staatlichen und weiteren politischen bzw. ökonomischen Eingriffen, wie z.B. dem rooseveltschen New Deal, Konsumentenkrediten u.v.m. verstetigten nun die (kaufkräftige) Nachfrage und sicherten die Entwicklung neuer und alter Märkte. Der „Angelpunkt“ dieser Strategie war die enorme Erhöhung der Produktivkraft, da der dadurch wachsende Reichtum sowohl die Steigerung des Mehrwerts als auch der Löhne ermöglichte. Massenproduktion, Massenkonsum und steigende Löhne konstituierten diese so genannte fordistische Phase, in der sich insbesondere männliche Arbeiter materiell „hochschaffen“ konnten und m.E. sich auch deshalb oftmals ideologisch an diese kapitalistische Variante anpassten. Traditionelle Ziele der Arbeiterbewegung schienen erreicht.

So erwuchs insbesondere nach dem Zweiten Weltkrieg aus dem zeitweise richtungsgleichen Zusammenwirken von Kapitalfraktionen, keynesianistischen Politiken und gewerkschaftlichen Strategien – die zumeist Lohnerhöhungen statt Arbeitszeitverkürzungen in ihren Fokus rückten – in Richtung massenhaften Warenwachstums eine neue kapitalistische Phase relativer Stabilität im Inneren. Diese wurde insbesondere durch staatlich abgesicherte Teilhabe am Konsum für Großteile der Bevölkerung in den Industrienationen und durch die Ausweitung von Mitbestimmungsrechten auf unterschiedlichen institutionellen Ebenen „erkauft“.

Henry Ford selbst hat die patriarchal fundierte Strategie dieser Phase dargestellt: „Wenn der Unternehmer seine Leute dazu antreibt, ihr Bestes zu tun, und die Leute entdecken nach einer Weile, daß der Lohn ausbleibt, werden sie ganz natürlich in ihren Schlendrian zurückfallen. Finden sie aber die Früchte ihrer Arbeit in ihrem Lohnbuch wieder – sehen sie dort den Beweis, daß mehr Leistung zugleich mehr Lohn bedeutet – dann lernen sie auch begreifen, daß der Erfolg des Geschäfts von ihnen und ihr Fortkommen von dem Geschäft abhängt.“ Ziel der gemeinsamen Anstrengungen soll „eine sichere und behagliche Existenz“ für alle sein und ganz besonders für den instrumentell abgerichteten Lohnarbeiter: Fühlt er nämlich, „daß sein Tagewerk ihm nicht nur die Lebensnotdurft, sondern darüber hinaus noch die Möglichkeit gewährt, seine Jungens und Mädels etwas lernen zu lassen und seiner Frau Vergnügen zu verschaffen, dann wird ihm die Arbeit ein guter Freund, und er wird sein bestes hergeben.“ (Ford 1923: 76 ff zit. n.: Esser u.a. 1983: 190f.)

So konnte sich neben einer spezifisch instrumentellen Arbeitsmoral ein zum Preis der fortgeführten und entwickelten Entfremdung gekaufter Wohlstand entwickeln, welcher gegenwärtig für viele Lohnarbeitenden zwar schwindet, aber immer noch ein notwendiges Bindemittel widersprüchlicher Interessen in kapitalistischen Systemen ist.[15]

Esser u.a. formulierten treffend in diesem Zusammenhang: Diese „instrumentelle Orientierung samt ihrer Begleiterscheinung, der umfangreichen und zugleich stereotypen Konsumneigung, strukturierte das fordistische Subjekt, ohne es vollständig zu determinieren.“ (Esser u.a. 1983: 191)

Ab den 1960er Jahren begann die tayloristisch ermöglichte Produktivkrafterhöhung zu erlahmen,[16] wobei die weiterhin noch existierenden relativ hohen Löhne und keynesianistischen Sozialstandards zu neuen Strategien der Kapitalakkumulation zwangen, da die relativ hohen Lohnkosten nun zur Senkung der Profitraten führten.[17] Das, was zuvor ein Garant der Kapitalakkumulation war (relativ hohe Löhne), wurde nun zu ihrem Hemmnis. Da daraufhin der Kapitaleinsatz in realökonomische Prozesse steigen musste, um die gewünschten Profitmargen erreichen zu können, wurde die Krise des Fordismus zur Kapitalrentabilitätskrise.

Seit den 1970er Jahren wurde es für das akkumulierende Kapital schwieriger, das angehäufte Kapital zu verwerten. Neue technologische Entwicklungen, wie der Einzug von Mikroprozessoren in Produktionsprozesse und der Ausbau der Informations- und Kommunikationstechnologien, Just-in-time Strategien oder auch die Internationalisierung des produktiven Kapitals bzw. das „global sourcing“, insbesondere mit Blick auf die (politisch) stabilen Regionen,[18] in denen zwar eine nutzbare Infrastruktur zur Verfügung steht oder günstig aufgebaut werden kann, Löhne aber relativ gering sind, sind daher bis heute Strategien zur Profitmaximierung.

Der Wegfall der Blockkonfrontation ab 1989 und die damit verbundene Auflösung der RGW-Staaten eröffnete darüber hinaus neue Anlage- und Verwertungssphären insbesondere für das produktive Kapital, so dass die Krisendeckelungsstrategie relativ hoher Löhne und weiterer Zugeständnisse an die Lohnarbeiter_innen mit erweiterten ökonomischen Zugriffsräumen profitabel beendet werden konnte.

Zugleich bedeutet das, dass durch die inzwischen globale Konkurrenz von Standorten, auch in den ökonomisch hochentwickelten Regionen permanenter Lohndruck herrscht, dem (nicht nur relative) Lohnsenkungen folg(t)en. Gepaart mit dem Abbau sozialer Sicherungssysteme führt das verstärkt zu prekären Lebens- und Arbeitsverhältnissen, die allmählich auch in den traditionellen und ehemals sozialstaatlich geprägten „Industriestaaten“ zur Normalität werden. Armut mit all ihren Begleiterscheinungen prägt daher zunehmend das öffentliche Bild auch in den ökonomisch reichen Nationen.

Die u.a. in den USA und Deutschland sinkenden Lohnquoten und der o.g. „Sozialabbau“ sind Ausdruck eines gewendeten Lohnverhältnisses, also einer zentralen Komponente eines nun neoliberal dominierten Akkumulationsregimes bzw. einer neoliberalen Regulationsweise.[19] Die darauf folgende sinkende Kaufkraft verringert(e) die Attraktivität von Binnenmärkten in traditionell (end)konsumstarken Ökonomien relativ zu anderen Märkten, woraufhin auch die Bereitschaft sank, diese Binnenmärkte (wie zu fordistischen Zeiten), verstärkt als Investitionsräume zu suchen. Umgekehrt schwollen die Investitionssummen im finanzökonomischen Sektor drastisch an, da sich internationale Kredit- und Finanzmärkte oftmals als profitabler erwiesen, als Investitionen in produktiven Sektoren.

Deutlich wird das in der folgenden Grafik aus dem Jahr 2009:[20]

Sie zeigt, dass das weltweite Finanzvermögen relativ zum Weltsozialprodukt seit 1980 rapide anstieg. Lag das Verhältnis zwischen Sozialprodukt und Finanzvermögen im Jahr 1980 noch bei 1:1,19 wuchs es bis zum Jahr 2007 auf 1:3,55 an. M.a.W.: Während sich das Sozialprodukt in 27 Jahren mehr als verfünffachte, hat sich das Finanzvermögen im selben Zeitraum mehr als versechzehnfacht. Mit dieser Divergenz entwickelten sich neben „traditionellen“ Finanzprodukten, wie z.B. Hypothekenkredite für Hausbesitz,[21] immer „verzweigtere“, wie zum Beispiel Credit Default Swaps,[22] um das eingesetzte Kapital zu verwerten.

Zinsen und andere „finanzökonomische Gewinne“ müssen aber letztlich durch reale Wertschöpfungsprozesse erwirtschaftet werden, denn divergieren das auf Grundlage von Produktion und Dienstleistungen geschaffene Weltsozialprodukt und das Weltfinanzvermögen zu stark, d.h. werden Finanzinvestitionen langfristig oder in großem Umfang ohne realökonomische Deckung getätigt, lässt sich m.E. früher oder später ein krisenrelevanter „Blaseneffekt“ kaum vermeiden.

Eine Grafik von Schulmeister u.a. aus dem Jahr 2008 macht das Ausmaß der divergierenden Entwicklung von finanz- und realökonomischen Prozessen und somit die Gefahr weiterer Krisen deutlich:

Sie zeigt die Entwicklung des Größenverhältnisses des globalen BIP zu ausgewählten „Finanzprodukten“ von 1990 bis 2007 und verdeutlicht, dass die Ökonomie als Gebrauchswert produzierende Praxis relativ zum finanzökonomischen Sektor – zumindest im hier angegebenen Zeitraum – zunehmend an Bedeutung verlor.[23]

Die lange Krise des Fordismus sowie ihre neoliberalen Entgegnungen, die einem (erneuten) paradigmatischen Wandel gleichkommen, erfordern auch von den betroffenen, insbesondere fordistisch geprägten Subjekten oftmals massive Veränderungen, die sich teils als Krisen der Subjekte fortsetzen: Zunehmende Arbeitsverdichtungen und entgrenzte Arbeitsverhältnisse, in denen nun die zuvor relativ klaren Grenzen von Arbeits- und Freizeit einseitig durchlässig aufgebrochen werden, oder auch eine wachsende Zwangsmobilität aufgrund von unsicheren bzw. befristeten Arbeitsverhältnissen sind nur einige bestimmende Veränderungen, von denen das zunehmend prekäre Subjekt betroffen ist. Weniger Freizeit, häufigere Umzüge, vermehrte psychische Erkrankungen[24] oder die Zunahme flüchtiger sozialer Beziehungen sind nur einige der Folgen.

Krisen der Neuorientierung – nicht nur seitens der permanent und teils gewaltsam nach Anlagefeldern suchenden Kapitalakteur_innen, sondern auch seitens der zunehmend von Lohnarbeitsprekarität Betroffenen – kennzeichnen daher (zumindest bis jetzt) die nachfordistische kapitalistische Phase.

2.2 Vier Ebenen der Konstitution kapitalistischer Gesellschaften – eine strukturtheoretische Bestimmung

Den spezifisch politisch-ökonomischen Konstellationen, die die jeweiligen historischen Phasen und auch Krisen innerhalb des Kapitalismus charakterisieren, liegen allgemeine Strukturen bzw. Prinzipien zu Grunde, die alle kapitalistischen Phasen durchlaufen und sie wesentlich mitbestimmen. Zur Ursachenanalyse von Krisen ist es daher erforderlich, innerkapitalistische Phasen, die sich u.a. durch unterschiedliche Strategien der Kapitalakkumulation voneinander abgrenzen, und phasenübergreifende allgemeine Strukturen und Funktionslogiken kapitalistischer Gesellschaften zusammenzudenken.

Auf dem Hintergrund der marxschen Kritik der Politischen Ökonomie und wesentlicher Bestimmungen der Regulationstheorie lassen sich m.E. vier Ebenen der Strukturierung kapitalistischer Gesellschaften differenzieren, von denen hier zwei näher ausgeführt werden. Diese Differenzierung in gesellschaftskonstituierende Ebenen ermöglicht es, „Ausgangslagen“ von Krisen zu identifizieren und daher Ansatzpunkte für gesellschaftliche Alternativen (3.) zu erkennen.

Erstens ist es die objektive Ebene allgemeiner kapitalistischer Gesetzmäßigkeiten bzw. Funktionslogiken. Zu diesen innerkapitalistischen ökonomischen Konstanten gehören:

- die allgemeine Warenförmigkeit ökonomischer Beziehungen. Tendenziell wird alles, was sich zur Ware machen lässt – ob Stoffe, Ideen, Arbeit, Subjekte oder sogar Teile von ihnen, (was z.B. im Organhandel seinen Ausdruck findet) –, zur Ware gemacht, bekommt somit einen Preis und lässt sich in Geldeinheiten darstellen. Hierzu bedarf es

- wertbasierter Warentauschverhältnisse mit der allgemeinen Anerkennung des allgemeinen Äquivalents – Geld. Ein weiterer Punkt sind

- die durch Privatproduktion strukturierten gesellschaftlichen Marktbeziehungen, in denen sich die einzelnen Privaten als Teile der Gesellschaft konstituieren.

- Das setzt das Privateigentum an Produktionsmitteln voraus.

- Das Lohn-Kapitalverhältnis konstituiert das Klassenverhältnis zwischen Lohnarbeit und Kapital wesentlich.

- Die private Aneignung des (in „dissoziierten Einheiten“) gesellschaftlich produzierten Reichtums ist dann selbstverständlich. Weitere kapitalistische Konstanten sind z.B.

- der tendenzielle Zwang zur Steigerung der Produktivkraft und das Wesen des Kapitals:

- die Maßlosigkeit der Kapitalakkumulation.

Diese und weitere „Eckpfeiler“ bestimmen alle spezifisch-historischen Phasen und Räume des Kapitalismus, sind also Konstitutionsmerkmale aller kapitalistischen Ökonomien. M.a.W.: Sie sind, aufgrund ihres gesetzesgleichen bzw. systemimmanenten Zwangscharakters, ökonomische Struktur- bzw. Funktionselemente, ohne die man nicht von einer kapitalistischen Ökonomie bzw. Gesellschaft reden kann.

In dieser Allgemeinheit lässt sich kapitalistische Wirklichkeit allerdings nicht ausreichend erfassen. Strukturen, Funktionen und (Kapital)logiken bestimmen zwar gesellschaftliche Praxis, sind aber nicht identisch mit Praxis. Diese wird auch und wesentlich durch einen zweiten Punkt, durch die Ebene der spezifischen Varianten der Umsetzung, der konkreten Ausgestaltungen bzw. Interpretationen der im ersten Punkt genannten Konstanten bestimmt. Unterschiedlich konkretisierte Ausformungen kapitalistischer Gesetzmäßigkeiten wirken in unterschiedlichen historischen Phasen, politischen oder kulturellen Räumen und begründen daher ihre Verschiedenheit mit. Hierbei macht es Sinn in Ergänzung zu den zuvor genannten Kapitallogiken von Kapitalstrategien, die direkt oder indirekt der Kapitalakkumulation dienen, zu sprechen, da die jeweilige Strategie nicht wie die zuvor genannten Logiken unumgänglich ist, sondern ein Ensemble von Entscheidungen, die auch anders hätten sein können. Unterschiedliche ökonomische Praktiken, politische Entscheidungsprozesse oder unterschiedliche gesellschaftliche Institutionen formen so zeitlich und räumlich unterschiedliche gesellschaftliche Konfigurationen von Akkumulationsregimen und Regulationsweisen. Wodurch werden diese bestimmt?[25]

Akkumulationsregime können als strategische Systeme bezeichnet werden, in denen soziale und ökonomische Regelmäßigkeiten in bestimmter Zeit und in bestimmten Räumen die Akkumulation von Kapital gewährleisten sollen. Ein Akkumulationsregime lässt sich durch eine Reihe von Parametern bestimmen, von denen ich hier einige nenne:

- die Form der Produktion ist wesentlich durch den historischen Stand der Technologie bestimmt. Ob eine Manufakturproduktion, eine maschinelle Industrie, Fließbandarbeit oder eine durch Mikroprozessoren gesteuerte Fertigung den Produktionsprozess dominiert, hat entscheidende Auswirkungen auf die Kapitalakkumulation.

- Das Volumen und das Verhältnis des eingesetzten konstanten und variablen Kapitals bestimmen u.a. innere Betriebsstrukturen, Investitionsentscheidungen oder die Marktmacht von Kapitalunternehmen mit und beeinflussen auch die Qualifikationsstruktur der Lohnarbeiter_innen bis hin zur Sozialstruktur einer Gesellschaft.

- Der Zeithorizont der Kapitalbildung ist u.a. abhängig vom Stand der Produktivkraft und den Bedingungen der Kapitalumlaufzeiten.

- Die Branchendistribution bzw. -struktur hat z.B. maßgeblichen Einfluss auf Märkte und lokale Infrastrukturen.[26]

- Das Verhältnis der Produktionsmittelindustrie zur Konsumgüterindustrie beeinflusst wesentlich die Konsumnorm und somit auch die Lebensweise.

- Die Aufteilung des Wertprodukts in Löhne und Profite, m.a.W. das Lohnverhältnis beeinflusst nicht nur Lebensweisen und Investitionssummen; soziale Proteste und gewerkschaftliches Wirken werden hiervon in Richtung und Ausmaß beeinflusst. Und nicht zuletzt hat auch

- der Artikulationsmodus von Unternehmen mit „außerökonomischen“ Institutionen, wie dem Staat, den Gewerkschaften und anderen gesellschaftlichen Akteur_innen maßgeblichen Einfluss auf die Akkumulation des Kapitals.

Regulationsweisen als „Gefüge“ expliziter und impliziter Institutionen und sozialer Normen existieren immer in Verbindung mit Akkumulationsregimen:

- Der Staat als eine zentrale gesellschaftliche Regulationsinstanz wirkt juristisch durch Gesetze oder z.B. als ökonomischer Akteur. Er schlägt hierbei Richtungen ein, die z.B. antizyklisch, nachfrageorientiert oder neoliberal bzw. angebotsorientiert sein können.

- Das schon zuvor genannte Lohnverhältnis ist sowohl Bestandteil von Akkumulationsregimen als auch von Regulationsweisen und ist daher ein zentrales Bindeglied von inner- und außerökonomischen „Faktoren“. Es umfasst neben der Lohnhöhe u.a. das Verhältnis direkter und indirekter Löhne, (Arbeits)Zeitnormen oder den Arbeitsschutz.

- Die Geldemissionsmenge bzw. die Geldsteuerung ist Bestandteil des Geldverhältnisses, beeinflusst u.a. die Inflationshöhe und steht in engem Verhältnis zum

- Kreditverhältnis, welches durch die Bestimmung von Zinshöhen u.a. Einfluss auf die Kaufkraft, Investitionshöhen oder Kapitalanlagefelder hat.

- Das Ausmaß der Weltmarkteinbindung findet u.a. seinen Ausdruck im Verhältnis der Binnenmarkt- zur Weltmarktorientierung und wird u.a. durch internationale Organisationen und Verträge, wie der WHO, dem IWF oder z.B. der APEC sowie durch spezifische nationale Politiken mitreguliert.

- Und nicht zuletzt sind auch Gewerkschaften Teil des gesellschaftlichen Regulationszusammenhangs. Sie gestalten u.a. in Auseinandersetzungen mit Arbeitgeberverbänden das Tarifvertragssystem, womit sie – über ihren Einfluss u.a. auf Lohnhöhen und Arbeitszeiten – ebenso wie der Staat und andere gesellschaftliche Akteure u.a. auf das Lohnverhältnis einwirken.

Die Strukturebenen der o.g. Logiken bzw. Gesetzmäßigkeiten (1.) und ihre strategischen Ausgestaltungen (2.) verwirklichen sich auf einer dritten Ebene durch die Praxis sozialer Prozesse bzw. sozialen Verhaltens, so dass der Zusammenhang von Strukturbeziehungen und Subjektbeziehungen Gesellschaften konstituiert.

Die zentrale Bedeutung der Beziehungen zwischen Strukturen und Subjekten ist hierbei in ihren Wechselverhältnissen begründet: Subjekte agieren in vorgefundenen ökonomischen, politischen, kulturellen und habituellen Verhältnissen bzw. Bedingungen, die auf sie wirken, und sie (die Menschen) wesentlich formen. Einerseits werden Subjekte so von den Verhältnissen, die sie eingehen wesentlich zu dem gemacht, was sie dann sind; und andererseits formen bzw. gestalten Subjekte selbst durch ihre Praxis äußere Bedingungen und Verhältnisse wesentlich mit.[27] Wir sind demnach sowohl Subjekt als „Macher“ und Gestalter von Verhältnissen und Strukturen, als auch Objekt, welches in und von Verhältnissen und Strukturen geformt wird. So gesehen sind vorgefundene Bedingungen nicht nur natürliche, zufällige oder willkürliche, sondern sie sind – insbesondere von den mit politischer und ökonomischer Macht ausgestatteten, interessengeleiteten Subjekten – auch gemachte Bedingungen. Subjekte verändern gesellschaftliche Institutionen, Gesetze, Normen, ökonomische Funktionsweisen u.v.m. und werden auch von diesen verändert, was zu netzwerkdynamischen (sozialen) Verhältnissen und Strukturen führt.

Sozialwissenschaftlich betrachtet bleibt als vierte Ebene die subjektive Reproduktion und ideelle Variation der Praxis im Bewusstsein der Akteur_innen, welche sich z.B. in habituellen Formen und Wertvorstellungen ausdrücken und auf die zuvor genannten Ebenen zurückwirken.

Alle diese Ebenen verwirklichen sich in der historischen Praxis (2.1). Kapitalistische Gesellschaften sind demnach zugleich verschieden und gleich, da sich unterschiedliches Bewusstsein und subjektive Praxis in zeitlich und räumlich unterschiedlichen strategischen Konfigurationen auf Grundlage gleicher ökonomischer Logiken bzw. Gesetzmäßigkeiten entwickeln.[28] So entstehen unterschiedliche Kapitalismen, die durch Krisen verändert werden.[29]

3. Krisenkategorisierungen und strukturelle Lösungsansätze

Mit den zuvor genannten vier Ebenen lassen sich unterschiedliche Krisenqualitäten und dementsprechende Lösungsansätze begründen.

Existiert ein Konflikt zwischen den Ebenen sozialer Prozesse und ihren Verinnerlichungen (3. und 4.) einerseits sowie der aktuellen strategisch-politischen Konfiguration (2.) andererseits, können sich – in Anlehnung an Lipietz – so genannte „kleine“ Krisen innerhalb der spezifisch geltenden Regulationsweise entwickeln, die z.B. in Protesten gegen die sogenannten Hartz IV-Reformen oder gegen Kürzungen und Umstrukturierungen im Wissenschafts- und Bildungsbereich ihren Ausdruck finden können.[30] Dann müssen – nach Lipietz – „die mit Zwangsgewalten ausgestatteten Kräfte … ‚jeden zur Vernunft bringen‘, d.h. zurück zur immanenten Logik[31] der gegenwärtigen Konfiguration sozialer Verhältnisse.“ (1985: 113) Das geschieht u.a. mit ideologischen bzw. propagandistischen Mitteln (z.B. mit der zuvor genannten „Ruck-Rede“), mit ökonomischen sowie politischen Restriktionen, wie z.B. Strafzahlungen oder Einschränkungen von Demonstrationsrechten, oder letztlich mit physischer Gewalt,[32] wie z.B. bei den Räumungen der Occupy-Camps.

Existiert ein Missverhältnis zwischen wesentlichen Elementen der Regulationsweise und den Erfordernissen der Reproduktion sozialökonomischer Verhältnisse in der jeweiligen (strategischen) Formation, folgt – nach Lipietz – eine so genannte „große“ Krise der Regulationsweise selbst, was einen Wandel des politischen Paradigmas innerhalb des Kapitalismus zur Überwindung der Krise zur Folge hat. Historisches Beispiel hierfür ist der Hegemoniewandel von keynesianistischen Sozialpolitiken zu neoliberalen, einseitig deregulierenden Politiken bzw. von antizyklischer Investitionspolitik zu rigiden Kürzungspolitiken des Staates.

Dieser Argumentationslogik folgend könnte man Krisen, die in grundlegenden Funktionsweisen der kapitalistischen Ökonomie wurzeln – gleichgültig in welchen strategischen Varianten sie umgesetzt werden –, als kapitalistische Systemkrisen bezeichnen, denn zu ihrer Lösung reicht es nicht, Regulationsweisen oder Akkumulationsregime zu ändern. Es müssten nicht nur soziale oder politische, sondern vor allem (allgemein kapitalistische) phasenübergreifende ökonomische Logiken, Strukturen und Verhältnisse verändert werden.

Werden also Krisen im Kapitalismus von Kapitallogiken, wie z.B. vom Primat des Profits, vom maßlosen Wachstumsstreben, vom widersprüchlichen Verhältnis von Lohnarbeit und Kapital oder z.B. von Privatisierungen und Konkurrenzverhältnissen verursacht, sobald diese ökonomischen Logiken die Praxis bestimmen, sind Krisen und Kapitalismen welcher Couleur auch immer inhärent miteinander verbunden.[33] Hier wirken ökonomische und politische (Reform)Strategien oftmals „nur“ als Be- oder Entschleuniger von Krisen.[34]

Werden also Krisen von kapitalistischen „Grundpfeilern“ selbst verursacht und verfolgt man den Anspruch einer nachhaltig-emanzipatorischen Gesellschaft, reicht es demnach nicht, dieser Art von Krisen zu begegnen, indem man nur die strategischen Umsetzungen dieser „Pfeiler“ bekämpft, also die Krisenursachen ignoriert oder sogar erst am Endpunkt einer Entwicklung ansetzt, wie z.B. beim so genannten Green New Deal[35] oder bei der Finanztransaktionssteuer.[36] Sind Ursachen von Krisen, die ihre Wirkkraft weiterhin besitzen, identifiziert, müssten also diese Ursachen Ansatzpunkte für emanzipatorische Praxen sein. D.h. nicht an den Krisenphänomenen selbst, sondern an Verhältnissen und Strukturen, aus denen Krisen hervorgehen, müssen Maßnahmen zur Prävention und Lösung von Krisen angesetzt werden.

Erweist sich jedoch der kapitalistische „Alltag“ als einer, in dem politische Unterdrückungs- und ökonomische Ausbeutungsverhältnisse sowie weitere Diskriminierungen die Regel sind, und in dem Krisen oftmals nur die systemimmanente Spitze kapitalistischer Normalitäten sind, aus denen sie hervorgehen, bedeutet das, im Zuge von Krisenbewältigungen die kapitalistische Normalität selbst zur Geschichte zu machen.


- Aglietta, M. (1976): Regulation et Crises du Capitalisme, Paris.

- Ders. (1979): A Theory of Capitalist Regulation. The US Experience, London.

- Altvater, E. (1992): Die Zukunft des Marktes. Ein Essay über die Regulation von Geld und Natur nach dem Scheitern des „real existierenden Sozialismus“, 2. Aufl., Münster.

- Arrighi, G. (1991): World Income Inequalities and the future of socialism. In: New left review No.189, o.O.

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[1] Zweite vollständig überarbeitete Fassung des Beitrages in der Erstauflage des Heftes von 2013.

[2] Hier werden zwar verschiedene Krisenaspekte zusammengedacht sowie theoretisiert; der vorliegende Text ist aber weniger ein ausgearbeiteter krisentheoretischer Beitrag, als eine „Rahmung des Raumes“, in dem der Krisenbegriff problematisiert wird und in dem gesellschaftliche Krisenzusammenhänge strukturell und historisch begründet werden.

[3] Vgl. hierzu u.a.: Karathanassis (2015).

[4] Signifikantes Beispiel hierfür ist m.E. die Ernährungskrise, auf die ich im Folgenden noch näher eingehen werde. Diese wird inzwischen z.T. auch als Ernährungslage bezeichnet. So verschwindet die Bezeichnung Krise und wird entschärfend zur „Lage“, ohne das sich real etwas verändert hat.

Normalität lässt sich demnach in Bezug auf ihren Gehalt – abweichend von der Interpretation Baders u.a. – nicht per se als Negation zur Krise definieren. Vgl. hierzu ausführlich: Bader u.a. 1975: 11f.

[5] Bis Anfang 2014 waren in Italien 65 Nachkriegsregierungen im Amt, in der BRD waren es im gleichen Zeitraum acht.

[6] Die Kapitalumschlagszeit umfasst die Produktionszeit und die Umlaufzeit des Kapitals und ist von einer Reihe von Faktoren abhängig. (Näheres hierzu findet sich u.a. im MEW, Bd.24: 351ff). In dem hier angesprochenen Beispiel steckt das Problem in der Umlaufzeit, da durch die Piraterie die transportierten Waren länger zu ihrem Bestimmungsort brauchen und der Geschäftsabschluss sich verzögert. Wird dieses Hemmnis nicht rasch beseitigt, kann ein verzögerter oder ausbleibender Kapitalrückfluss zu Liquiditätsengpässen führen, was u.a. die Aufnahme von Überbrückungskrediten erfordern kann. Im gängigen wirtschaftswissenschaftlichen Sprachgebrauch wird analog zur Kapitalumschlagszeit oftmals vom „Return on Investment“ (ROI) gesprochen. Der ROI drückt das Verhältnis zwischen dem investierten Kapital und der zurückfließenden Kapitalgröße in einem bestimmten Zeitraum aus. Somit wird – ähnlich wie in der marxschen Kritik der Politischen Ökonomie – eine periodische Bezugsgröße fixiert, in welcher Hemmnisse in der Wertrealisierung und somit Krisenpotenzen zu identifizieren sind.

[7] Beispiele hierfür finden sich u.a. in: Hippler u.a. (2009).

[8] Vgl. ausführlich: http://www.bundespraesident.de/SharedDocs/Reden/DE/Roman-Herzog/Reden/1997/04/19970426_Rede.html

[9] A.a.O.

[10] Vgl. hierzu kritisch u.a.: Zeuner (1997) oder Gillmann (2010).

[11] http://www.bundespraesident.de/SharedDocs/Reden/DE/Roman-Herzog/Reden/1997/04/19970426_Rede.html

[12] Erckenbrecht argumentiert richtungsgleich indem er schreibt: „Das gedankliche Legitimationssystem, das zur Motivation sozialer Handlungen benötigt wird, erweist sich im Falle der Ideologie als Legitimation mit verfälschtem Bewußtsein, als durch Klassenfunktion mystifizierte und verbogene Lehre.“ (Erckenbrecht 1976: 48).

[13] Z.B. werden drei, teils sogar nur zwei Quartale in Folge ohne Wachstum des Bruttoinlandprodukts als Krise interpretiert, woraufhin sich die Frage stellt, ob dann wirklich schon eine krisenhafte Wendung eingetreten ist.

[14] Als theoretisches Instrumentarium zum Erfassen ökonomischer und politischer Zusammenhänge dienen hier u.a. regulationstheoretische Kategorien, die auf der marxschen Kritik der politischen Ökonomie aufbauen. In einem strukturtheoretischen Herangehen werden hierbei historische Phasen heuristisch voneinander abgegrenzt, um krisenrelevante Entwicklungsverläufe und Umbrüche innerhalb des Kapitalismus skizzieren zu können.

[15] Welche Folgen das Wegbrechen dieses Wohlstands haben kann, wird gegenwärtig auch im Zuge der rigiden Sparpolitiken u.a. in Spanien, Portugal und Griechenland offensichtlich.

[16] Hirsch begründet das u.a. mit der zunehmenden Kritik an den Arbeitsbedingungen am Fließband, was durch Streiks und sogar durch Sabotage zu sinkenden Produktionsvolumina führte. Piore und Sabel führen neben „soziale Unruhen“ als weitere Gründe die Einführung flexibler Wechselkurse, die Ölkrisen der 1970er Jahre sowie die hohen Zinssätze an. (Vgl. hierzu ausführlich: Piore; Sabel 1989 und Hirsch 1990).

[17] Sinkende Profitraten können unterschiedliche Gründe haben. So ist z.B. der tendenzielle Fall der Profitrate nicht auf hohe Lohnkosten, sondern auf den wachsenden konstanten Kapitalanteil bzw. auf die wachsende organische Zusammensetzung des Kapitals zurückzuführen. (Vgl. hierzu ausführlich u.a.: MEW 25: 153ff).

[18] Hierbei ist es von untergeordneter Bedeutung, ob diese stabile Region bzw. Nation diktatorisch oder eher demokratisch regiert wird. Maßgeblich ist, ob diese in der Lage ist, die Interessen mächtiger Staaten, wie z.B. der USA oder global agierender Konzerne zu gewährleisten. Ist das der Fall, wird sie unabhängig von ihrer Regierungsform „hofiert“, und z.T. sowohl ökonomisch als auch politisch unterstützt.

[19] Diese der Regulationstheorie entnommenen Begriffe werden im Folgenden noch näher erklärt und ausgeführt.

[20] Vgl. Huffschmid (2009).

[21] Können die von den Hausbesitzer_innen aufgenommenen Kredite nicht mehr getilgt werden, werden die Bewohner_innen, wie z.B. im Zuge der US-Hypothekenkrise im Jahr 2008, aus ihren Häusern „entfernt“ und die nun leer stehenden Häuser müssen u.a. von Polizist_innen bewacht werden, damit die Hinausgeworfenen nicht von ehemaligen Besitzer_innen zu Besetzer_innen werden. Auch das macht den Widerspruch zwischen vorhandenem realen Reichtum bzw. Gebrauchswerten einerseits und kapitalistischen Verwertungsinteressen andererseits sichtbar.

[22] Vgl. hierzu ausführlich u.a.: Weistroffer (2009).

[23] Der Fortbestand der ökonomischen Relevanz von Finanzprodukten auch nach der Finanzkrise von 2008 bzw. die Kontinuität des überbordenden und daher krisenrelevanten Verhältnisses der Finanzökonomie zur Realökonomie wird in einer Reihe weiterer Quellen bestätigt. So z.B. von Bontrup (2012) oder Weber (2011): „2010 machte der Wert aller weltweit produzierten Güter und Dienstleistungen (das globale BSP) 63 Billionen Dollar aus. Das Volumen der weltweit gehandelten Aktien und Obligationen war mit 87 Billionen Dollar um 40 Prozent höher. Das geschätzte globale Nomi­nalvolumen der außerbörslich gehandelten Finanzderivate betrug im selben Jahr 601 Billionen, das Volumen der Devisengeschäfte (hochgerechnet auf Basis der Umsätze vom April 2010) erreichte die sagenhafte Höhe von 955 Billionen Dollar, also fast das 15fache des globalen BIP.“ (Weber 2011: http://transform-network.net/de/zeitschrift/ausgabe-092011/news/detail/Journal/crash-as-cash-can-crises-bubbles-speculators-1929-and-today.html)

[24] Vgl. hierzu ausführlich: IGES (2013).

[25] Ausführlicheres hierzu ist insbesondere bei Aglietta (1979) und Lipietz (1985) zu finden.

[26] So sind bzw. waren z.B. im Silicon Valley, in Basel oder auf den Cayman Islands unterschiedliche „Branchencluster“ verortet, die ihr infrastrukturelles Umfeld dementsprechend unterschiedlich präg(t)en.

[27] Es ist daher zum Verständnis kapitalistischer Gesellschaften unerlässlich, auch ihre Subjekte zum Gegenstand kritischer Analysen zu machen. Ausführliches hierzu findet sich u.a. bei Holzkamp (1985).

[28] Subjekte sind demnach zwar unterschiedlich, in ihrem „teilautonomen“ Denken und Handeln aber u.a. an o.g. Strategien und Logiken (mehr oder weniger prägend) rückgebunden.

[29] Die Kapitalismen unterschiedlicher Nationen bzw. Regionen können erheblich voneinander abweichen. So unterscheiden sich z.B. der angloamerikanische Kapitalismus und die Kapitalismen in Mitteleuropa, in Bangladesch, in Japan oder China z.B. in Bezug auf ihre sozialpolitische Regulation, auf Import-Export-Strategien oder hinsichtlich der Kommodifizierungstiefe ihrer Binnenmärkte.

[30] In diesen Fällen ist dann insbesondere seitens der Apologeten dieser (Kürzungs)Maßnahmen oftmals davon die Rede, dass die Bevölkerung nicht versteht, worum es geht, oder dass die getroffenen politischen Entscheidungen bzw. Maßnahmen alternativlos seien.

[31] Der von Lipietz verwendete Logikbegriff bezieht sich auf die innere Logik der jeweiligen strategischen Konfiguration. Er ist daher nicht identisch mit dem sonst hier verwendeten Begriff der Logik.

[32] Vgl. hierzu: Müller-Heidelberg u.a. (2015).

[33] Beispiel für diese Art von Krise ist das kapitalistische Naturverhältnis, in welchem das – seinem Wesen nach – maßlose Kapital seine Entsprechung in der Natur sucht. Durch den damit verbundenen Wert-Stoff-Zusammenhang bzw. durch den wachsenden Umsatz von Geld- und Sachwerten entfaltet sich eine enorme stoffliche und ökologische Belastung, was u.a. zur Ressourcen- und Klimakrise führt(e). Vgl. hierzu ausführlich: Karathanassis (2010) und (2015).

[34] Vgl. ausführlich: Karathanassis (2014).

[35] Ebd.

[36] Die Maßnahme einer Finanztransaktionssteuer als Krisenlösungs- oder -präventionsstrategie blendet wesentliche ökonomische Funktionsweisen aus, wodurch Ursachen von Krisen außer Acht gelassen werden. Sie könnte zwar ein Beitrag zur Einschränkung börslicher und außerbörslicher Finanztransaktionen sein, würde aber systemische Krisen letztlich nicht lösen können, denn eine derartige politische Regulierung mindert nur die Attraktivität dieses (Kapital)Anlagefeldes – des Finanzmarktes – und führt daher zu Neuberechnungen möglicher Profitmargen mit zwei möglichen Folgen: 1. Ist die o.g. Steuer relativ hoch, wird Kapital in andere Investitionsbereiche verlagert, z.B. in den Handel, in die Industrie, in Rohstoffmärkte etc. Dies würde zwar die Umschlagsgeschwindigkeit der investierten Kapitale i.d.R. verlangsamen, aber längerfristig durch steigende Stoffverbräuche und Schadstoffoutputs zumindest ökologische Krisen verschärfen. Oder ist 2. die Steuer relativ niedrig, bleiben Anleger_innen in diesem „Feld bzw. Kapitalisierungssegment“ bei zunächst sinkenden Profiten. Eine Finanztransaktionssteuer würde also nicht das (Krisen)Problem lösen, denn es ist hier nicht (nur) das spezifische Anlage- bzw. Wirkungsfeld des Kapitals, das zu Krisen führt, sondern das Wesen des Kapitals selbst, (unabhängig vom Anlagefeld) aus Kapital mehr Kapital generieren zu wollen.


* Dieser Text ist in längerer Fassung erstmals erschienen in: «Helle Panke» (Hg.), Reihe «Pankower Vorträge», Heft 179, 2., überarbeitete Auflage, Berlin 2015.


Athanasios Karathanassis, geb. 1965, Politik- und Sozialwissenschaftler, forscht als «freier» Wissenschaftler und lehrt an der Leibniz Universität Hannover u. a. mit den Arbeitsschwerpunkten Politische Ökonomie der Globalisierung, gesellschaftliche Naturverhältnisse, gesellschaftliche Krisenentwicklungen und Soziale Bewegungen der Gegenwart.




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