Kriegskind, zwei Fluchten aus deutschen Ländern, fast drei Jahre lang Lager. Dabei hatte Oskar Negt viel Glück, ältere Schwestern und gute Lehrer, die beim Über- und Weiterleben halfen. Die späte Spurensuche voller sozialphilosophischer Reflexionen mündet in ein politisches Plädoyer für ein neues, offeneres Deutschland.
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Gut, hat er es trotz der theoretischen Bedenken gegen biographisches Schreiben getan: sich wie viele im Alter an die Kindheit erinnert, die Lücken mit Beteiligten zu schliessen versucht, einigem nachgeforscht, Erfahrungen des späteren Lebens einbezogen. Negt konnte viel Wissen nutzen und seine Jugendzeit war alles andere als gewöhnlich. Er wurde 1934 geboren.
Nach dem Frauenfrieden viel Tod
Die ersten Jahre könnten fast an ein „Friedensmodell einer bäuerlichen Familie“ denken lassen, stellt der Zurückblickende fest. Fotos vom Leben vorab mit Frauen und Tieren auf einem Gut in Ostpreussen stützen das Idyll. Dazu kam eine Höhle als „eigentliches Zuhause“ des Knaben. In ihr entstand seine Phantasiewelt. Nah bei jenem Ort sassen sie aber auch, als im Januar 1945 in der Ferne zerstörerische Brände zu sehen waren. Genau dort, im umkämpften Kessel von Königsberg, strandete er kurz danach mit zwei Schwestern auf der Flucht vor der Roten Armee. Sie wurden von den Eltern getrennt, „wanderten von Bunker zu Bunker, von Keller zu Keller“. Dazu diese Toten. „Sie lagen überall, man stolperte geradezu über sie.“ Der erste Gedanke: Was sind das für rohe Menschen, die Angehörige oder andere einfach liegen lassen? „Bis uns klar wurde: Sie können bei diesem Frost, in der hart gefrorenen Erde, nicht beerdigt werden.“ Kurz war Oskar sogar Kindersoldat. Bis eines Nachts die nächste Fluchtetappe begann, über die Ostsee, in einen kleinen Dampfer gepfercht. Viel später erfuhr er, dass jene 20’000 Flüchtlinge, die in den letzten drei Monaten des Krieges vor der Rettung ertranken, mehrheitlich in Grosstransporten zu Tode kamen. „Für die kleinen Schiffe und ihre geringe Belegung waren die Torpedowaffen wohl zu teuer.“
Lebensmut durch Güte im Lager
Glück im Unglück könnte der Refrain der meisten Kapitel dieser Spurensuche sein. Ankunft in Kopenhagen, danach „eine merkwürdige Reise durch Dänemark“, noch von der deutschen Besatzungsmacht organisiert, und zweieinhalb Jahre lang Internierung – „zwischen Stacheldraht und Gastfreundschaft“. Unvergesslich der Tag, als ein örtlicher Bürgermeister dem vom Untätigsein bedrückten Jungen die erbetenen Werkzeuge für Bastelarbeiten überreichte. Ein richtiger Werkzeugkasten! Dazu eine Entschuldigung, dass er die Sachen nicht eher hätte bringen können; einiges musste er erst beschaffen. Es folgten ähnliche Erfahrungen etwa mit Lehrern, die seinen Wissensdurst stillten und neuen Lebensmut weckten. Bei den Reflexionen, zu denen Negt die Schwestern beizog, kamen Zweifel auf, ob sein Gedächtnis zu einseitig Positives gespeichert habe. Und wenn! Es war vorhanden und wichtig. „Wärmestrom und Kälte“ zeigt als Zwischentitel das Zwiespältige der Erfahrungen der Einsperrung, die „keineswegs nur bedrohlich, sondern in vielen Aspekten auch mit gegenseitiger Hilfe verbunden“ war. Das habe – „wie ich erst jetzt sehe“ – sein Denken und Empfinden nachhaltig geprägt. Gelegentlich kam es zu Beschimpfungen, doch sie hätten in Dänemark „wenig Feindschaft gespürt“, sich sicher gefühlt.
Leider (noch) nicht wie erhofft
„Wie man mit Flüchtlingen umgeht, ist immer auch ein Ausdruck des Gesamtzustandes und der Kultur eines Landes.“ Die in Deutschland seit März 2016 radikale Wende der Asylpolitik bewegt den Autor vor diesem Hintergrund doppelt. Immer wieder wechselt er vom Vergangenen zur Aktualität. Auch sein Metier kann der engagierte Sozialphilosoph nicht verleugnen. Bereits im Zusammenhang mit Krieg und Königsberg, dem heutigen Kaliningrad, kamen der lebenslang dort wirkende Kant und dessen Alterswerk „Zum ewigen Frieden“ ins Spiel. Und im letzten Abschnitt, wo Negt noch kurz den Beginn des eigenen akademischen Weges anspricht und „Glücksgefühle im Göttinger Hörsaal“ beschreibt, ist es Marx, dessen Texte auf ihn „wie eine Erleuchtung“ wirkten. Fast mehr als die erste Flucht gab dem linken Studenten, der immer gewerkschaftsnah politisch aktiv blieb, eine zweite zu denken: Die aus jenem anderen Deutschland, in dem die Familie wieder vereint auf einem zugeteilten „Neubauernhof“ nah bei Berlin lebte. Aber als „alter Sozialdemokrat“ wollte sich der Vater weder dem Zwangszusammenschluss von SPD und KPD zur SED noch der starren Kollektivierung der Landwirtschaft fügen. Die untergegangene DDR entsprach dem Erhofften so wenig wie die BRD, in der sie schliesslich landeten. Nach wie vor wünscht Negt sich ein anderes, ein tatsächlich demokratisches und soziales, auch weltoffenes Deutschland. „Ein Sozialismus, der seine Idee ernst nimmt, müsste heute auf Parolenplunder und Fortschrittsposen verzichten und sich ganz auf die Bedürfnisse und Interessen der Menschen in ihrem Alltag einlassen, um sehen und hören zu lernen, um die Arbeit an den liegen gebliebenen und verdrängten Anfängen aufzunehmen.“ Klingt das nach über 80?
Oskar Negt: Überlebensglück. Eine autobiographische Spurensuche. Steidl, Göttingen 2016, 320 Seiten, Abbildungen, 24 Euro.
Aufmerksam zu machen ist auf die im Steidl-Verlag erschienene Werkausgabe, die Oskar Negts Schriften umfasst: sein umfangreiches Schaffen von den späten 60er Jahren bis zur jüngst publizierten Streitschrift „Philosophie des aufrechten Gangs“. Mit dieser Edition sind alle bedeutenden Schriften des herausragenden Sozialwissenschaftlers und Philosophen wieder erhältlich. 8624 Seiten, Leineneinband in Kassette, 20 Bände, 485 Euro.
* Diese Rezension erschien erstmals im P.S. vom 24.3.2017.
Dr. rer.nat. Harald Wenk
oskar negt hatte das glück, in einer zeit, wo die intllektuelllemn noch nicht durch die psychiatrie extrem angegriffen worden sind, seine beruflich laufbahn einzuschlagen. überlebensglück eben.
im gegensatz zum früher vertorbenen lehrer adorno, hat negt sogar extrem vielversprechendetrotzkistische parteien und organisationsversuche mitgestaltet. negt ist ein de lebemde, biographische beweis dafür, dass es de übermächige gegner, der “objektüberhang” ist, d die linke und den sozilismzs kleinhielt und ihm niedrlagen beibrachte, gerad hier im westen, und nicht de linke “ansatz” selbst.
alledingshat er, mit fast alklen andsern linken hier, leider die religös METAPHYSISCHE, zuum großen theologische auch rational psychologsche thematik preisgegeben, hegel, kant und fred statt des passebnen theolgiersetzers und vollphiosophhen neue “heilkigen vernunft” spinoza, was adorno noch in der letzten negativen dialektik anfing.
das ist sowiohl akademisch alsauch für die öffentlichrn diskurse mit ihren konkreten moralfragen und cdu poltik, gestaltung dr frezeutfreiräume und orgaination der intellktuellen recht schädlich fehelenbd gewesen. abre als poliotkruegsgroßmeistrschachkundige weiss ich, ds dr übelehbge gegner irgendwo immer sein überlegegenehkitr spielen lassen kann.
in asien, indien, japan, china etc, lief es auch nicht besser, nich mal im sowjetreich.