Eine neue Bewegung für die Demokratisierung Europas macht von sich Reden. Was sind ihre Ziele und Mittel? Und was sind ihre Beschränkungen und Illusionen? Eine Analyse des kürzlich publizierten Manifests von DiEM25.
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Eines muss man Yanis Varoufakis lassen: Die Inszenierung seiner Person sowie seiner politischen Agenda beherrscht er. Ob er sich nun im schwarzen Ledermantel als Badboy der europäischen Finanzminister portraitieren lässt oder seine neue Bewegung an der Volksbühne in Berlin inszeniert, der Widerhall in der Öffentlichkeit ist ihm sicher. So war sein neues Projekt, das Democracy in Europe Movement (DiEM25), das die Demokratisierung der Europäischen Union vorantreiben will, bereits vor der ersten öffentlichen Präsentation am 9. Februar in aller Munde. Mittlerweile ist DiEM25 auf dem besten Weg zu einer grösseren Sammelbewegung zu werden: Über 15’000 Menschen haben sich als neue Mitglieder gemeldet. Das Projekt umfasst ExponentInnen von Podemos aus Spanien, der Linken aus Deutschland oder der Grünen Partei aus Frankreich und England. Auch ein paar prominente Figuren haben sich angeschlossen: Neben Wikileaks-Gründer Julian Assange und Regisseur Ken Loach finden sich auch die beiden Meisterschwätzer Antonio Negri und Slavoj Žižek auf der Mitgliederliste. Die künftige Bewegung soll aber neben linken AktivistInnen auch offen für liberale DemokratInnen sein, entsprechend sind die politischen Ziele rücksichtsvoll gewählt und innerhalb der Regeln der unantastbaren bürgerlichen Demokratie formuliert.
Ziele und Feinde
Die Feinde von DiEM25 sind in ihrem Gründungsdokument schnell ausgemacht: die Brüsseler Bürokratie, die Eurogruppe, verräterische Parteien, schlechte Regierungen, Medienmogule und niederträchtige Konzerne. Es sei dringend zu handeln, denn «eine Verschwörung kurzsichtiger Politiker, ökonomisch naiver Beamter und in Finanzdingen inkompetenter ‹Experten› unterwirft sich sklavisch den Beschlüssen der Finanz- und Industriekonzerne», lässt sich im Manifest nachlesen. Dem wird eine Demokratisierung der EU entgegengehalten, die in zwei Jahren in einer verfassungsgebenden Versammlung gipfeln soll, deren Beschlüsse bis ins Jahr 2025 umzusetzen seien.
Im Resultat läuft das auf einen sehr engen Staatenbund hinaus, der aber zugleich – so will es das Manifest – den nationalen und regionalen Parlamenten Macht zurückgeben will. Das klingt für linke FreundInnen der bürgerlichen Demokratie verlockend und es wäre nur eine Predigt an ohnehin Überzeugte, wenn man diese Vorstellungen bloss an den hehren kommunistischen Idealen blamieren wollte und etwa darauf verwiese, dass die Bewegung letztlich nicht viel mehr ist als eine etwas modernisierte, sozialdemokratisch gewendete Volksfront. Auch der Verweis darauf, dass solche Linken längst zum ideologischen Kitt der EU geworden sind, ist zwar richtig, aber die reelle Alternative ist momentan leider nicht die kommunistische Weltrevolution, sondern der Rückfall in nationalistisches Hauen und Stechen.
Im Folgenden soll aber nicht von den Kommandohöhen der proletarischen Revolution geurteilt werden, sondern die Widersprüche der Ziele und Mittel von DiEM25 herausgearbeitet und gezeigt werden, warum sich die Organisation an der harten kapitalistischen Realität blamieren muss.
Es ist kein Zufall, dass DiEM25 nach Jahren der ökonomischen Krise und deren politischer Verarbeitung das Licht der Welt erblickt. Die sozialen Verheerungen der Krise haben an der Südperipherie der EU und anderswo jene Kräfte wachsen lassen, die Stichwortgeber der neuen Bewegung sind. Ausserdem sind es gerade die Zwangsmechanismen der Austerität, die die formellen demokratischen Strukturen der EU delegitimiert haben. Man sieht das personell schon an Varoufakis, der nach der Realitätseichung der Syriza nun einen neuen Anlauf zu nehmen versucht.
Eines ist dabei folgerichtig: Nachdem er erkannt hat, dass die nationale Perspektive für Griechenland verstellt ist, versucht er es nun auf der gesamteuropäischen Ebene. Dadurch kann man die Troika direkt angehen und zugleich der zwischenzeitlich verlorenen Hoffnung netter Menschen wieder etwas Nahrung geben. Bloss: Auf dieser Ebene vermittelt sich der Zwang des Kapitals zwar nicht mehr durch die Troika, aber er wirkt direkt auf die Bewegung, sollte sie je auch nur in die Nähe von Regierungsfunktionen auf EU-Ebene gelangen. Die Widersprüche und Probleme der Herangehensweise ergeben sich dabei auf zwei Ebenen: der möglichen Konfrontation mit den Gewinnerstaaten der Krise und der ökonomischen Zwangslage der EU in der internationalen Konkurrenz.
Wirtschaftliche Regulierung und Nationalstaaten
DiEM25 hat eine Sache klar erkannt: Eine Veränderung der Austeritätspolitik lässt sich, wenn überhaupt, nur auf der Ebene der EU erreichen. Denn nahezu alle Regularien für die Wirtschaft in Europa kommen heute von dort, während ihre gesellschaftliche Aushandlung und Durchsetzung – ebenso wie die allermeisten Klassenkonflikte – auf nationaler Ebene erfolgen. Das heisst im Beispiel Griechenlands etwa, dass die Austeritätsmassnahmen von der Troika beschlossen, aber vom griechischen Staat durchgesetzt werden.
Dem will DiEM25 eine zentralisierte Versammlung auf europäischer Ebene entgegensetzen. Das hat nur einen Haken: Die Gewinnerstaaten der EU, die zugleich die federführenden Kräfte der Austeritätspolitik sind, profitieren vom aktuellen Zustand. Deutschland etwa hat seinen Status als Exportweltmeister auch durch die europäische Reglementierung erreicht, die sicherstellt, dass die importierenden Nationen ihre Währung nicht abwerten oder wirkungsvolle Zollbestimmungen einführen können, um ihre Wirtschaft zu schützen.
In der Krise ist dieser Vorteil für das Wohlergehen des nationalen Kapitals entscheidend. Man muss sich dabei klarmachen, dass die EU etwa für Deutschland ein Vehikel ihres nationalen Interesses auf dem internationalen Markt ist – wenn auch heute bereits einige Fraktionen des politischen Personals auf nationalen Alleingang drängen. Eine europäische verfassungsgebende Versammlung, die die aktuellen Vorteile unterlaufen würde, würde direkt mit den Interessen der mächtigsten Länder der EU in Konflikt geraten. Diese würden natürlich die nationale rechtlich-politische Reglementierung gegen die europäische in Stellung bringen. Das wäre eine Angelegenheit für gelernte JuristInnen.
Bloss: Zwischen gleichen Rechten entscheidet die Gewalt. Das heisst nun nicht, dass das Militär aufmarschiert, aber die politischen Entscheide in Deutschland – tendenziell aber allgemein im europäischen Norden – würden im Zweifelsfall alles blockieren. Dementsprechend müsste eine Bewegung wie DiEM25 nicht nur die europäischen Entscheidungsstrukturen erobern 615-544-7594 , sondern auch die der stärksten Nationalstaaten; was angesichts vergangener Wahlen zumindest unwahrscheinlich sein dürfte. Zudem sei daran erinnert, dass der letzte Konvent, der eine europäische Verfassung erarbeiten sollte, bei einer Volksabstimmung komplett durchfiel – und zwar 2005, als die Krise und die daraus folgende Desintegration noch nicht durchgeschlagen hatte.
Krisenlösung und nationale Segregation
Auch falls DiEM25 dieses Wunder gelingen sollte, wären sie mit einem tiefliegenden Problem konfrontiert. Die aktuelle Wirtschaftspolitik der EU zielt primär auf eine Überwindung der Euro-Krise. Da die EU in Nationalstaaten gespalten ist, erfolgt dabei aber eine Hierarchisierung, die die schwächeren Nationalökonomien einem massiven Spardruck unterwerfen und ihren wirtschaftlichen Abwärtstrend verstärken. Dem will DiEM25 entgegenwirken, indem die Krisenregulation «europäisiert werden soll». Wie beschrieben, kann das nur gegen die Interessen der Krisengewinner erfolgen.
Eine solche Europäisierung wirft zudem einige brisante Fragen auf, weil die geforderte europäische Verfassung eine Homogenisierung der Bedingungen bedeutet, wenn man die inhaltliche Bestimmungen des Manifests ernst nimmt: Wie müssten die sozialstaatlichen Institutionen beschaffen sein, wenn sie nicht mehr je nach Lage in der europäischen Staatenkonkurrenz krass ausdifferenziert wären? Wie würde sich das auf das starke Lohngefälle auswirken? Wie könnte ein solches Regularium auf europäischer Ebene den Insassen der Gewinnerstaaten schmackhaft gemacht werden, wenn ihre Nationalökonomie ihre Vorteile aufgeben müsste?
Eine Lösung für diese Fragen wäre wohl nur in einem engen Staatenbund zu erreichen, der im Zweifelsfall die Regulierung der «sozialen Frage» auf europäischer Ebene auch autoritär durchsetzt. Da der Inhalt der Bewegung von Varoufakis mit der demokratischen Form vermutlich konfligieren würde, ist die Selbstbezeichnung als «Bewegung für Demokratie in Europa» zumindest irreführend.
Die Illusion der sozialen Lösung
Durch diesen Widerspruch werden wesentliche Probleme sichtbar: die Zwänge der Krise und die Lage in der internationalen Konkurrenz. Das primäre Problem ist eigentlich jenes, das heute auch die Nationalstaaten innerhalb der EU haben. Sie müssen sich in der zwischenstaatlichen Konkurrenz Vorteile verschaffen, weil sich in der Krise auf dem internationalen Markt nicht alle schadlos halten können. Das heisst, dass die EU – wenn sie homogenisiert wäre – alle Massnahmen durchsetzen müsste, um international konkurrenzfähig zu sein. Das beinhaltet heute ganz wesentlich die Absenkung des Lohnniveaus, was auch über die Reduktion des Sozialstaates erzwungen wird. Diese Tendenz wird durch die allgemeine Krisenentwicklung verschärft: Um die Profite der Kapitale zu sanieren, wird allerorts das Lebensniveau der ArbeiterInnen gesenkt. Hier kommt die ganze Krux von DiEM25 zum Ausdruck: Sollten ihre Mitglieder oder SympathisantInnen je in europäische Regierungspositionen gelangen, müssten sie jene Zwänge durchsetzen, die heute die kritisierten Regierungen und BürokratInnen exekutieren. Andernfalls untergraben sie ihre eigene ökonomische Grundlage.
* Dieser Beitrag erschien erstmals in der N. 11/12 der sozialistischen Zeitschrift vorwärts.