In der Schweiz ist feministische Publizistik dünn gesät. Dennoch gibt es die «RosaRot» seit 25 Jahren – und es geht ihr besser denn je. 2014 hat eine neue Redaktion das Magazin übernommen und die Auflage seither verdoppelt. Die Autorinnen bringen einen Feminismus zu Papier, der politisch ist, weil er persönlich ist.
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«Auf identitärer Ebene war Geschlecht noch nie so wichtig wie heute», ist «RosaRot»-Redakteurin Dolores Bertschinger überzeugt. 1991, als die «RosaRot» gegründet wurde, brachen gerade eine halbe Million Frauen den Frieden zwischen den Geschlechtern auf und gingen in den Streik. Sie stellten fest, dass der Gleichstellungsartikel alleine ihnen noch nicht das schöne Leben brachte – dafür mussten sie kämpfen. Als eines der wenigen in den 90er Jahren gegründeten feministischen Magazine in der Schweiz hat die «RosaRot» überlebt. Heute machen sich ihre Autorinnen darüber Gedanken, wie der Kampf von 1991 heute weitergeführt werden kann.
Zusammen mit ihrer Redaktionskollegin Laura Lots sitzt Dolores im Redaktionsbüro der «RosaRot» in einem ehrwürdigen Gebäude an der Rämistrasse, wo zahlreiche studentische Vereine untergebracht sind. An der Wand hängen unzählige quadratische Zettel mit Notizen, Mindmaps und Nummernplanungen. Wie vieles in diesem Raum sind die meisten von ihnen rosa. Überhaupt sind Farben für das feministische Magazin wichtig. Das Cover der Jubiläumsausgabe ist in ein sattes Lila getaucht – seit den 70er Jahren ein Symbol für die Frauenbewegung. Auch der Titel des Hefts spielt mit Farbsymbolik: Unter dem Namen «Rosa», die Mädchenfarbe schlechthin, wurde die Zeitschrift 1991 von Geschichtsstudentinnen der Uni Zürich gegründet. Bei der Neubelebung des Magazins im Jahr 2014 haben die neuen Redakteurinnen dem Magazintitel ein «Rot» hinzugefügt.
Geschichtsbewusstsein
«Damit wollen wir an die Geschichte der linken Frauenbewegungen anschliessen und uns auf ihre politischen und theoretischen Errungenschaften besinnen», sagt Dolores. Statt immer wieder bei Null anzufangen, könnten bei einem Blick ins Archiv manchmal unerwartete Schätze an die Oberfläche gelangen. «Ich habe manchmal eine diebische Freude daran, diese als verstaubt geltenden Texte wieder hervor zu nehmen und sie in meine eigenen Texte einfliessen zu lassen», sagt Laura.
Historische Arbeit haben die Redakteurinnen auch für die Jubiläumsausgabe der «RosaRot» geleistet. Die Ausgabe beschäftigt sich intensiv mit dem Frauenstreik im Jahr der «RosaRot»-Gründung und der Entwicklung des Feminismus ab diesem einschneidenden Datum. Sie konnten prominente Feministinnen wie Christiane Brunner, Mitbegründerin der Frauenbefreiungsbewegung, die Psychoanalytikerin Lisa Schmuckli und die ehemalige Zürcher Sozialvorsteherin Monika Stocker dafür gewinnen, ihre Erinnerungen an den Frauenstreik festzuhalten.
Mit dem Feminismus hat sich auch die «RosaRot» seit 1991 stark verändert. Ehemalige und aktuelle Redakteurinnen zeichnen diese Entwicklung im Heft nach. Ursprünglich entstand die «RosaRot» als Hilfsmittel feministischer Historikerinnen, um dem drastischen Mangel an Materialien zu feministischer Theorie und Geschichte entgegenzuwirken. Das Magazin bestand aus ein paar losen Blättern mit redaktionellen Inhalten sowie ein paar Flugblättern, die von Hand zusammengeheftet wurden. Heute ist das Magazin grafisch klar und liebevoll gestaltet und lädt zum genussvollen Leseerlebnis ein.
Das Bewusstsein für die Geschichte des Feminismus ist geblieben. Beim Zugriff auf diese Geschichte unterwerfen sich die «RosaRot»-Autorinnen jedoch keiner bestimmten theoretischen Linie. «Wir haben kein Redaktionsmanifest, nach dem wir uns richten», sagt Laura. Bei Themenwahl und Schreiben lassen sich die jungen Autorinnen – alle sind jünger als 30 – von ihren Interessen leiten. Viele von ihnen beschäftigen sich etwa intensiv mit dem in den 70er Jahren entstandenen italienischen Differenzfeminismus, der die alltägliche Erfahrung von Geschlecht ins Zentrum rückt. Genau diese Erfahrung werde von den akademischen Gender Studies zu oft ignoriert, sind sich die «RosaRot»-Autorinnen einig. «Wir haben das zwar nie explizit geschrieben, doch viele von uns sind von den Gender Studies enttäuscht», sagt Dolores.
Dass junge Autorinnen in der ersten Person schreiben, sei im Internet heute eh üblich, stellt Dolores fest. «Auf der anderen Seite haben wir gelernt, dass wir nicht mehr über ‹die Frauen› im grossen Plural sprechen können.» Das Frauen-Wir der 70er Jahre sei dekonstruiert worden. Wenn man es dennoch verwende 615-544-7786 , werde man sofort mit Essentialismusvorwürfen konfrontiert.
Das Persönliche ist politisch
Also fangen die «RosaRot»-Schreiberinnen erst mal bei sich an. Die «Rosa», deren letzte Nummer 2012 erschien, bevor sie aus Mangel an Nachwuchs eingestellt wurde, war da ganz anders. Sie kam eher wie eine akademische Fachzeitschrift zu feministischer Geschichtsschreibung daher: eine wissenschaftliche Sprache, viele Fussnoten. In der «RosaRot» gibt es keine Fussnoten, viele Texte sind in einem direkten, kämpferischen Stil verfasst, oft auch in der Ich-Form; und viele von ihnen sind sehr persönlich.
Dennoch wollen die Redakteurinnen ihr Magazin als politisch verstanden wissen. «Wir wollen nicht permanente Selbstreferenz betreiben», betont Laura, «das wäre langweilig.» Mit einem Begriff der Differenzfeministin Luisa Muraro könnte man die schreibende Praxis der «RosaRot»-Autorinnen als Erste Politik bezeichnen. «Von sich selbst Ausgehen wird zu einem möglichen Weg, das Denken der Geschlechterdifferenz als politische Praxis zu verstehen», wie Lisa Schmuckli in der aktuellen Ausgabe schreibt. «Vielleicht ist das unsere implizite Linie: zu zeigen, dass die Auseinandersetzung mit uns selber eine politische Intervention ist», sagt Dolores.
Obwohl sich die «RosaRot» klar links verortet, verzichten ihre Autorinnen auf eine explizite Auseinandersetzung mit dem Marxismus. Das hat auch mit einer weiteren Enttäuschung zu tun. «Viele von uns sind linken Gruppen beigetreten und haben erwartet, dass wir dort vor machoiden Männern in Sicherheit sind», sagt Laura, «um dann festzustellen, dass Männer doch alles dominieren.» Und fügt an: «Wir haben es satt, der Nebenwiderspruch zu sein.»
Die 50. Ausgabe von «RosaRot – Zeitschrift für feministische Anliegen und Geschlechterfragen» gibts für 5 Franken etwa in der Buchhandlung im Volkshaus, bei queerbooks.ch in Bern, beim Buchladen KOSMOS in Basel, am Kiosk der Uni Zürich sowie im Abo unter www.rosarot.uzh.ch.
Aufruf: Für die 51. Ausgabe sucht die Redaktion nach Texten zum Thema «Binden oder Brechen?». Bis zum 20. Juni können diese unter rosarotinfo@gmail.com eingeschickt werden.
* Dieser Text erschien erstmals in der sozialistischen Zeitung «Vorwärts» Nr. 11/12.