Im Jahr 1975, in dem Alice Schwarzer mit dem Buch Der kleine Unterschied und seine grossen Folgen über den Zwang der Frauen zur normierten Heterosexualität ein grosses mediales Echo auslöste, veröffentlichte der Merve Verlag Berlin die von der Öffentlichkeit kaum beachtete Broschüre Die Lust Frau zu sein von Carla Lonzi. In der Reihe «Internationale Marxistische Diskussion» war bereits mit Die Macht der Frauen und der Umsturz der Gesellschaft von Mariarosa Dalla Costa und Selma James eine scharfe Kritik des italienischen Feminismus an der Klassenkampftheorie der Linken erschienen (vgl. dazu http://kritisch-lesen.de/rezension/startschuss-fur-die-hausarbeitsdebatte). Kritisierten Dalla Costa und James vor allem, dass die marxistische Theorie die Bedeutung der Hausarbeit für den Kapitalismus vernachlässige, so fokussierte Lonzi auf die sexuellen Beziehungen zwischen Mann und Frau als Grundpfeiler der Unterdrückung des weiblichen Geschlechts. Sputiamo su Hegel (Wir pfeifen auf Hegel) war erstmals 1970, La donna clitoridea e la donna vaginale (Die klitorische Frau und die vaginale Frau) 1971 veröffentlicht worden. Beide Beiträge erschienen 1974 als Teil eines Sammelbands mit Schriften von Lonzi in dem von ihr mitbegründeten Mailänder Verlag Scritti di Rivolta Femminile, 1975 dann in deutscher Übersetzung im Merve Verlag. Die von Lonzi vertretenen Thesen wurden für mich als Feministin und Linke zu einem zentralen Ausgangspunkt der Reflexion und trugen zu meinem – auch sexuellen – Selbstverständnis entscheidend bei, so dass ich den kleinen Band mit dem unverkennbaren Design des Berliner Verlags bis heute in meinem Büchergestell aufbewahrt habe.
Vitalität und Vielfalt des italienischen Feminismus
Obwohl die von der Entstehungszeit geprägten Positionen Lonzis zu einem nicht geringen Teil seit längerem als überholt gelten, ist deren historische Bedeutung nicht zu unterschätzen. Dies wurde mir vor wenigen Jahren an einer wissenschaftlichen Tagung zur Geschichte des transnationalen Feminismus bewusst: Sowohl schriftliche Quellen als auch Bilddokumente weisen Carla Lonzi als eine der zentralen Figuren unter den italienischen Feministinnen der 1970er-Jahre aus, die indes schon damals verschiedene Ausrichtungen kannten. Trotz gegenseitiger Abgrenzung zeugen alle diese Ausrichtungen von der kreativen Vitalität, der Vielfalt und dem gesellschaftlichen Einfluss des damaligen italienischen Feminismus, der weit über Italien hinausstrahlte. Ein Faktum, das heute, nach den Jahren unter Berlusconi, kaum noch vorstellbar ist und an das kaum noch etwas erinnert. Die verbreitete Geringschätzung dieses Feminismus ist auch das Resultat des Zerfalls der linken Bewegung in Italien, in die der Aufbruch der Feministinnen eingebunden war.
Carla Lonzi, geboren 1931 in Florenz, mit 51 Jahren 1982 in Mailand an Krebs gestorben, war eine italienische Kunstkritikerin und feministische Theoretikerin. 1954 trat sie in die Kommunistische Partei Italiens (PCI) ein, von der sie sich im Zeichen des Feminismus ab 1970 distanzierte. Das Manifest der von ihr mitbegründeten Gruppe Rivolta Femminile – Name auch des Verlags, der die Aufrufe und Schriften der Gruppe publizierte – verfasste sie 1970 zusammen mit Carla Accari und Elvira Banotti. Es verweist bereits auf die zentralen feministischen Positionen der 1970er-Jahre: von der Entlarvung der Komplementarität von Frau und Mann als Mythos und der Ablehnung der Ehe über die Anerkennung der Haus- und Betreuungsarbeit als produktiver Arbeit bis zur Forderung nach einer selbstbestimmten, nicht auf das Begehren des Mannes ausgerichteten weiblichen Sexualität.
Lonzi plädierte für eine autonome Bewegung der Frauen, basierend auf der geteilten Erfahrung von Frauen, was Männer als Mitglieder ebenso ausschloss wie den Rekurs auf männliche Meisterdenker. So unterzieht sie in Sputiamo su Hegel die patriarchale Grundhaltung der marxistischen und kommunistischen Politik einer harschen Kritik, und in La donna clitoridea e la donna viginale entlarvt sie die auch von der Psychoanalyse genährte Übersteigerung der Vagina als Quelle weiblicher Lust als eine Grundsäule des patriarchalen Modells der Ergänzung von Frau und Mann, das lediglich die Unterordnung der Frau kaschiere. Diese unter dem Titel Die Lust Frau zu sein zusammen herausgegebenen Aufsätze von Lonzi wurden von der bekannten Übersetzerin Sigrid Vagt ins Deutsche übertragen. Der Text erweist sich manchmal als etwas holprig, die Begrifflichkeit ist der Zeit entsprechend noch nicht fixiert und vor allem aus heutiger Sicht ungewohnt, da im feministischen Diskurs so weitgehend nicht mehr gebräuchlich.
Wir pfeifen auf Hegel
Ausgehend von der Frage der Gleichheit zum einen und der Kritik an Hegels Herr-Knecht-These zum andern bricht Carla Lonzi noch radikaler als Mariarosa Dalla Costa mit dem orthodoxen Marxismus. Mit dem provokativen Aufruf «Sputiamo su Hegel», Titel des ersten Beitrags (S. 5–34), drückt sie ihren Unmut über den geringen Stellenwert der Situation der Frauen in den philosophischen Grundlagen linker Theorien aus.
Als eine der ersten Feministinnen der 1970er-Jahre bezieht sich Lonzi auf die Erklärung der Rechte der Frau und Bürgerin von Olympe de Gouge, die 1791 in Analogie zur Erklärung der Menschen- und Bürgerrechte von 1789 Gleichheit auch für Frauen einforderte, politisch erfolglos, wohl aber mit schlimmen Folgen für die französische Revolutionärin selbst: Sie wurde zwei Jahre später guillotiniert. Dazu hält Lonzi fest: «Die Forderung nach Gleichheit der Frauen mit den Männern auf rechtlicher Ebene fällt historisch mit der Behauptung der Gleichheit der Männer untereinander zusammen. […] Die Unterdrückung der Frau wird nicht beseitigt […] durch die Gleichheit, sondern fortgesetzt in der Gleichheit. Sie wird nicht beseitigt durch die Revolution, sondern fortgesetzt in der Revolution.» (S. 5) Trotzdem bedeute das Auftreten der Frau als Subjekt eine grundsätzliche Infragestellung des Machtbegriffs. Denn nach Lonzi liegt nicht im Herr-Knecht-Verhältnis, sondern im Unterschied zwischen Mann und Frau der grundlegende Unterschied innerhalb der Menschheit. Daher würde die Integration der Frau in die herrschenden Machtverhältnisse ihre Kolonisierung implizieren: «Gleichheit ist das, was den Kolonisierten auf der Ebene der Gesetze und Rechte angeboten und auf der kulturellen Ebene aufgezwungen wird. Es ist ein Prinzip, aufgrund dessen das Hegemonische fortfährt, das Nicht-Hegemonische zu konditionieren. Die Welt der Gleichheit ist die Welt der legalisierten Gewalttätigkeit, des Eindimensionalen; die Welt des Unterschieds ist die Welt, in der der Terrorismus die Waffen streckt und die Gewalttätigkeit dem Respekt vor der Verschiedenheit und Vielfalt des Lebens weicht. Die Gleichheit der Geschlechter ist die Hülle, mit der heute die Unterlegenheit der Frau getarnt wird.» (S. 6) Daher habe die Frau «keinen Anlass mehr, nicht einen einzigen, sich den Zielen des Mannes anzuschliessen. In diesem neuen Bewusstseinsstadium weist die Frau sowohl die Ebene der Gleichheit als auch die der Unterschiedenheit als ein von der männlichen Macht aufgezwungenes Dilemma zurück.» (S. 7)
Wie in diesen Passagen auch, erweist sich der Text fast durchwegs als äusserst dicht, obwohl ihm streckenweise mehr der Charakter eines Manifests als einer differenzierten Analyse zukommt. Gerade seiner respektlosen Zuspitzungen wegen weiss er noch heute zu packen, und das – ein notwendiger Einschub in meine ausführlichen Erörterungen – trotz seiner schon seit den 1980er-Jahren vielfach überholten Ansätzen. Mit ihrem Plädoyer für den Respekt des «Verschiedenen» – in neuer Terminologie sprächen wir auch im Deutschen eher von «Differenzen» und «Pluralität» – evoziert Lonzi zwar zukünftige theoretische Positionen, doch spricht sie im Unterschied zur Differenzlogik der jüngeren kulturwissenschaftlichen Denkformen immer von der «Frau» und vom «Mann» im Singular, darunter das männliche und weibliche Geschlecht als Ganzes subsumierend. Diese dualistische Perspektive ist dem Feminismus der 1970er-Jahre durchaus eigen. Im Gefolge der Queer-Theorien ist heute indes selbst die Unterscheidung zwischen Frauen und Männern in Frage gestellt. Doch Feministinnen wie Carla Lonzi waren Teil einer Aufbruchbewegung, die im Kontext der antiimperialistischen und antirassistischen Kämpfe vom Gedanken der Befreiung der Menschen beflügelt wurde, eine Befreiung, die fast durchwegs in dualistischen Begrifflichkeiten konzipiert war, der sich allerdings Lonzi über ihre Kritik der hegelschen Dialektik gleichzeitig auch verweigert. So erweisen sich ihre Positionen nicht nur in diesem Fall als ambivalent oder gar vieldeutig.
Sprachlich zugespitzt zeigt sich ihre Zurückweisung der marxistisch-leninistischen Variante einer allgemeinen Befreiung der Menschen durch die Überwindung des Kapitalismus: «Die Unterdrückung der Frau ist das Resultat von Jahrtausenden: der Kapitalismus hat sie mehr geerbt als produziert.» (S. 7) Nur ökonomische Mechanismen für diese Unterdrückung verantwortlich zu machen, greife zu kurz, dem historischen Materialismus entgehe das emotionale Moment, das den Übergang zum Privateigentum bestimmt habe. Die Frau als Sexualobjekt, als Objekt der Begierde, sei die primäre Beute des Mannes: Darin liege – im Unterschied zu Friedrich Engels These in Der Ursprung der Familie, des Privateigentums und des Staates – der Ursprung des Besitzes. Daher könne von der Revolution der Unterdrückten als einer rein ökonomisch definierten Klasse keine Befreiung der Frau erwartet werden, und daher lehnten – so Lonzi – Feministinnen es ab, «dass ihre eigene Sache dem Klassenproblem nachgeordnet wird. Sie können keine Form des Kampfes und keine Perspektive akzeptieren, die über ihre Köpfe hinweggeht.» (S. 7) Überhaupt erwarte der Marxismus-Leninismus von der Frau eher ihre Hilfe, als dass man bereit wäre, ihr zu helfen. Er gebe die eigenen Wertvorstellungen paternalistisch an die Frau weiter und damit auch die männlich definierten Vorstellungen über den Umsturz der herrschenden Verhältnisse. In der Unterordnung unter die Ziele der Bewegung – sprich Gehorsam gegenüber deren Leitfiguren – zeige sich ihre Bereitschaft zur Übernahme von einverständiger und so sich selbst entmachtender Verantwortung.
«Das hegelsche Herr-Knecht-Verhältnis ist ein Verhältnis innerhalb der männlichen Welt, und auf dieses ist die Dialektik zugeschnitten in exakt aus den Voraussetzungen des Machtergreifens abgeleiteten Begriffen.» (S. 8) Diese Konzeption der Befreiung gelte nur für die männliche Kollektivität, da in dieser Konzeption das wesentliche Unterscheidungsmerkmal ausgeklammert sei. «Die Frau wird als Frau unterdrückt, auf allen gesellschaftlichen Ebenen: nicht auf der Ebene ihrer Klassen- sondern ihrer Geschlechtszugehörigkeit.» Wie Dalla Costa kritisiert auch Lonzi, dass die Marxisten die Bedeutung der Tätigkeit der Frau für die Reproduktion der Arbeitskräfte übersehen und damit deren Ausbeutung im Rahmen der Familie nicht als «eine wesentliche Funktion für das System der Kapitalakkumulation» erkannt hätten. (S. 8f.) Lonzis Fazit, das wohl von den meisten Feministinnen der damaligen Zeit geteilt wurde: «Der Marxismus hat die revolutionäre Zukunft der Arbeiterklasse anvertraut und hat die Frau als Unterdrückte und als Trägerin der Zukunft vergessen; er hat eine revolutionäre Theorie auf der Grundlage einer patriarchalischen Kultur entworfen.» (S. 9)
Lonzi belegt dies anhand von Hegels Verständnis der Position der Frau. Dieses beruhe auf der Dialektik zwischen einem weiblichen göttlichen und einem männlichen menschlichen Prinzip. Während ersteres der Familie zugeordnet sei und sich demnach die Frau nur in den Verwandten erkenne, sei letzteres dem Gemeinwesen zugeordnet und mache den Mann zum Staatsbürger. Das weibliche Prinzip definiere sich über Passivität, deshalb habe sich die Frau ihrer Unterwerfung angepasst als wäre es ihre eigene Natur. Eine solche Positionierung würde – so Lonzi – der Mann für sich nie akzeptieren: «Übereinstimmend mit der Tradition des abendländischen Denkens hält Hegel die Frau aufgrund ihrer Natur in einem Bereich fest, dem er alle nur mögliche Bedeutung beimisst, aber so, dass ein Mann es vorzöge, niemals geboren zu sein, wenn er ihn für sich selber in Betracht ziehen müsste.» (S. 9) Zentral für Hegels Dialektik des Herr-Knecht-Verhältnisses ist, dass der gesellschaftliche Wandel durch die Eliminierung des Herrn geschieht, dadurch ist der Knecht nicht mehr Knecht. Doch eben diese Möglichkeit lässt sich nach Lonzi nicht auf das Geschlechterverhältnis als Herrschaftsverhältnis übertragen, denn im Verhältnis Frau-Mann gibt es keine Lösung, die den anderen als solchen eliminiert, «also wird das Ziel der Machtübernahme hinfällig». (S. 11, Hervorhebung Lonzi)
Geschlechtergleichheit als falsches Versprechen marxistischer Revolutionstheorien
Ebenso dezidiert kritisiert Lonzi das von Marx und Engels rein ökonomisch verstandene Geschlechterverhältnis in deren Schriften, und zwar von Engels Grundsätze des Kommunismus von 1847 und dem gemeinsam veröffentlichten Kommunistischen Manifest von 1848 bis zu Engels Spätwerk Der Ursprung der Familie, des Privateigentums und des Staates von 1884. Sobald das Privateigentum aufgelöst sei, behaupten diese, falle mit der ökonomischen Abhängigkeit auch die Vorherrschaft des Mannes. Motiv des Zusammenseins von Frau und Mann sei nur noch ein privates: das der gegenseitigen Zuneigung. Effektiv sei aber, so Lonzi, in sozialistischen Ländern die Familie insofern gestärkt worden, als in den Strukturen des paternalistischen bzw. autoritären und bürokratischen Staates das Prestige und die Funktion des Patriarchen neue Bedeutung gewonnen habe. «Die Klassenkampfkonzeption, und damit der Ausschluss der Frau als aktiv an der Hervorbringung der Inhalte des Sozialismus Beteiligter, hat aus dieser Revolutionstheorie eine unausweichlich patrizentrische Theorie gemacht.» (S. 15, Hervorhebung Lonzi) Die Familie sei die Stütze der patriachalen Ordnung: Sie basiere nicht nur auf ökonomischen Interessen, sondern auch auf den psychischen Mechanismen des Mannes, der in jeder Epoche die Frau zu seinem eigenen Nutzen unterworfen und beherrscht habe. So habe die marxistische Gleichheitsvision in deren praktischen Umsetzung eine patriarchale Autorität entworfen, die, da an die Aufhebung des Privateigentums gebunden, alle anderen Möglichkeiten zur Befreiung der Frau verworfen habe. Damit werde auch negiert, dass die Befreiung der Frau im bürgerlichen Staat und nicht erst im sozialistischen ihren Anfang genommen habe.
An Forderungen der fortschrittlichen Frauenbewegung knüpften nach Lonzi auch die Kommunistinnen in revolutionären Zeiten an, wurden aber fast durchwegs von männlichen Leitfiguren zurückbeordert, namentlich Clara Zetkin von Lenin. Dieser warf Zetkin vor, dass Genossinnen die sexuelle Frage unter sich behandelten; die Forderung nach «Freiheit der Liebe» sei kleinbürgerlich, das revolutionäre Ziel sei vielmehr die proletarische Zivilehe mit Liebe. Die Forderung nach «freier Liebe» teilten die Kommunistinnen denn auch eher mit jungen Parteimitgliedern als mit den Parteiideologen: «Die freie Liebe war die feministische Version der Kritik an der Familie; die proletarische Ehe dagegen die männliche von Ordnungsvorstellungen erfüllte Konsequenz aus den Grundsätzen des Kommunismus.» (S. 18)
Nach Auffassung von Lenin konnte die Frau die Gleichheit mit dem Mann nur durch die Befreiung von der unproduktiven Hausarbeit zu Gunsten der produktiven Arbeit im Betrieb erreichen. Für diese Befreiungskonzeption war die Vergemeinschaftung der Kindererziehung unabdingbar, damit die Frau nicht ans Haus «gefesselt» bleibt. Diese einseitige Sicht auf die Mutterschaft als Moment der Versklavung lehnt Lonzi ab. Damit werde nicht nur die über Jahrtausende verfestigte Autorität des Vaters ignoriert, sondern auch die Mutterschaft als einer eigenen «Quelle des Denkens und Fühlens». Fazit: «Nicht der Sohn hat uns zur Sklavin gemacht, sondern der Vater.» (S. 20) Die Befreiung erreiche die Frau daher nicht durch die ökonomische Unabhängigkeit, sondern durch die Zerstörung der Institution der Ehe und Familie, «die sie mehr und länger zur Sklavin gemacht hat als die Sklaven». (S. 23)
Der Mann als Kämpfer
Ambivalent erscheint auch Lonzis Position zum Krieg, kritisiert sie doch die weit verbreitete Lehrmeinung, der Krieg sei entscheidend an die Möglichkeit des Mannes gebunden, sich im Kämpfer als männliches Geschlecht selbst zu erkennen und erkannt zu werden. Sie stellt diese psychologisierende Meinung nicht grundsätzlich in Frage, wohl aber, dass damit die Existenzbedingungen der Frauen ausgelassen werden: «Die Psychoanalyse interpretiert die Gründe, weshalb der Mann den Krieg als männliche Aufgabe angesehen hat, aber sie sagt uns nichts über die damit einhergehende Unterdrückung der Frau.» (S.27) Die Auffassung des Kriegs als Sicherheitsventil für innere Konflikte des Mannes lasse meinen, dass diese eine Grundgegebenheit der conditio humana seien, doch die conditio humana der Frau weise nicht die gleichen Notwendigkeiten auf. Vielmehr beweine die Frau als Mutter die geopferten Söhne. In impliziter Konterkarierung des in einer Unzahl von Nachrufen geäusserten Lobes auf verstorbene Mütter zieht Lonzi daraus ihre pointierte Schlussfolgerung: Frauen sollen Kinder weder dem Mann noch dem Staat schenken, sondern sich selbst; dadurch geben sie sich zugleich sich selbst zurück. Diese Interpretation des Krieges für das Geschlechterverhältnis verbindet Lonzi mit der Kritik an der Dialektik hegelscher Prägung: «Die Frau steht nicht in einem dialektischen Verhältnis zur männlichen Welt. Die Bedürfnisse, die sie gerade klärt, implizieren keine Antithese, sondern ein Sich-auf-einer-anderen-Ebene-bewegen.» (S.29, Hervorhebung Lonzi)
Damit nicht – wie bis anhin – Männer den Frauen ihre Sicht der Befreiung aufdrängten, ist nach Lonzi die «Absonderung» der Frauen beziehungsweise deren Verweigerung zur Mitarbeit in gemischten Organisationen notwendig. Es gehe dabei um Selbstaneignung, denn die Erfahrungen der Frauen seien das Potential, «um phantasievollere Lösungen zu finden» (S. 30). Auch Institutionen wie die Universitäten bezeichnet Lonzi als Orte der Unterdrückung, da sie die Mechanismen der Unterdrückung der Frau nicht aufdecken, sondern sie weiter verfestigen: «Sabotieren wir jeden Aspekt der Kultur, der diesen Bezug weiterhin ruhig ignoriert.» (S. 30) Es gibt für Lonzi keinen Fortschritt auf ein gemeinsames Ziel hin: «Das unvorhergesehene Schicksal der Welt liegt darin, den Weg noch einmal von vorn zu durchlaufen mit der Frau als Subjekt. […] Wir sind die dunkle Vergangenheit der Welt, wir verwirklichen die Gegenwart.» (S. 34).
Die schiefe Optik der Psychoanalyse
Ihre Ablehnung von Hegels Dialektikkonzeption verbindet Lonzi mit der Kritik an Freuds Penisneid, da dieser den Mann als Vorbild für Vollständigkeit impliziere: «Das Geschlecht des Mädchens wird ignoriert: es hat weder Namen, noch Kosenamen, noch Charakter, noch eine Literatur: Seine physiologische Verborgenheit wird ausgenutzt, um seine Existenz zu verschweigen: die Beziehung zwischen männlich und weiblich ist daher keine Beziehung zwischen zwei Geschlechtern, sondern zwischen einem Geschlecht und dem Fehlen eines Geschlechts.» (S. 23f.) Diese sprachliche Zuspitzung erscheint heute kaum noch nachvollziehbar, ist doch das Sprechen über die Klitoris als weibliches Geschlechtsorgan längst kein Tabu mehr. Das war indes in den 1970er-Jahren noch ein Faktum, das erst Feministinnen wie Carla Lonzi oder eben auch Alice Schwarzer durchbrachen: durch Texte und bildliche Darstellungen der Klitoris in Büchern, Zeitschriften und Ausstellungen. Diese Infragestellung der gängigen Vorstellungen über weibliche Sexualität führte bei vielen männlichen Publizisten weniger zu Verunsicherung als zu Aggressivität. So erwies sich Lonzis Zuspitzung damals als ebenso scharfzüngig wie scharfsinnig. Wortreich thematisierte sie ihre Thesen im zweiten Beitrag «Die klitoridische Frau und die vaginale Frau» (S. 35–80).
Die Folgen der auch von der Psychoanalyse unterschlagenen Bedeutung des physiologischen Unterschieds zwischen den Geschlechtsorganen von Mann und Frau und deren spezifischen Funktionen definiert Lonzi trocken als Gewalt: «Das weibliche Geschlechtsorgan ist die Klitoris, das männliche der Penis. […] Beim Mann ist also der Mechanismus der Lust eng mit dem Mechanismus der Fortpflanzung verbunden; bei der Frau stehen Lust- und Fortpflanzungsmechanismus zwar miteinander in Verbindung, fallen aber nicht zusammen. Der Frau eine Gleichzeitigkeit aufzuzwingen, die von ihrer Physiologie her nicht gegeben ist, war eine kulturelle Gewalttat, die in keiner anderen Art von Kolonisierung ihresgleichen findet.» (S. 35) In der verbreiteten Formulierung «der Mann nimmt, die Frau gibt sich hin», zeige sich die Selbstverständlichkeit dieser Unterwerfung. Den Höhepunkt dieser Kolonisierung sieht Lonzi im Verbot der Abtreibung, dem Verbot, eine der Frau aufgezwungene Schwangerschaft zu unterbrechen. Gleichzeitig warnt Lonzi andernorts aus dem selben Grund vor einer undifferenzierten Liberalisierung des Schwangerschaftsabbruchs, da diese zu sexuellen Beziehungen führen könnte, welche die Unterwerfung der Frauen unter die Bedürfnisse der Männer und damit die Kolonisierung des weiblichen Geschlechts noch verstärken könnte.
Zwar sei die patriarchale Sexualkultur streng fortpflanzungsgebunden, dennoch beweise die Erfindung von Verhütungsmitteln, Abtreibung und Sterilisierung, dass Fortpflanzung und Lust keine Einheit seien. Diese Tatsache habe jedoch nicht dazu geführt, das vaginale Lustmodell für die Frau beziehungsweise den Koitus als Ausdruck gemeinsamer Erfahrung von Lust und Komplementarität beider Geschlechter in Frage zu stellen. «Die Komplementarität ist ein Begriff, der sich auf Frau und Mann unter dem Aspekt der Fortpflanzung bezieht, nicht aber unter dem erotisch-sexuellen Aspekt.» (S. 39) Dagegen verdanke die klitoridische Lust ihre Missachtung der Tatsache, dass sie für das männliche Geschlechtsmodell nicht funktional sei. Vielmehr verweise die Erfahrung des klitoridischen Orgasmus auf die psychische wie physische Autonomie der Frau gegenüber dem Mann. Daher überträgt Lonzi die Begriffe klitoridisch und vaginal auf die Definition der Frauen. Während die klitoridische Frau ihre eigene Sexualität bejahe, sehe die vaginale Frau Sexualität nur ausgerichtet auf den Mann beziehungsweise das Paar. Diese unterschiedliche Ausgangsposition verweise auf eine je andere Art der Begegnung und Beziehung zwischen Mann und Frau.
Hier setzt Lonzis feministische Kritik der Psychoanalyse ein, die im Kontext der 68er-Bewegung auch unter Marxisten und – für sie nicht nachvollziehbar – auch unter Feministinnen eine neue Akzeptanz gefunden hatte: «Der Feminismus tritt für die Frau an die Stelle dessen, was für den Mann die Psychoanalyse ist.» (S. 42) Wie im Herr-Knecht-Verhältnis im Marxismus werde auch in der Psychoanalyse die Unterwerfung der Frau in der auf das Paar konzentrierten Sexualität nicht thematisiert, sondern stütze diese Unterwerfung durch die von Freud gesetzte Beurteilung des klitoridischen Orgasmus der erwachsenen Frau als ein Beharren in kindlichen autoerotischen Mustern. In Übereinstimmung mit der Mehrzahl der Feministinnen ihrer Zeit fokussiert Lonzis Kritik auf einige wenige zentrale Punkte in Freuds Theorie: Während für Freud der vaginale Orgasmus der Frau die Frucht einer psychosexuellen Reifung ist, ist er für den Feminismus das Produkt ihrer psychosozialen Anpassung. Der Penisneid entstehe erst dadurch, dass die Bedeutung der Klitoris als einem ebenbürtigen Organ unterschlagen und die Vagina nur als passives Organ für die Aufnahme des männlichen Geschlechts erfahren werde. So unterschlage Freuds Entdeckung, dass die vaginale Frau passiv, also weiblich ist, weil sie sich an die zur Aufrechterhaltung der Paarbeziehung notwendige Rolle angepasst habe. Doch die erwartete totale Übereinstimmung im Koitus entspreche einer schizophrenen Situation. Denn die Rolle als Mutter und Ehefrau sei die Rolle derjenigen, die sich selbst in der Aufopferung für andere ohne Anspruch auf eine eigene Sexualität verwirkliche. Dass auch Frauen für das vaginale Lustmodell einträten, beruhe darauf, dass es in einer patriarchalen Gesellschaft als einziges Modell Belohnung verspreche.
Lonzis Kritik an der Psychoanalyse schliesst auch die unter den 68er-Linken populären Thesen von Wilhelm Reich ein. Trotz seiner Kritik an der unhinterfragten Hochhaltung väterlicher Autorität beharre auch Reich auf der Freudschen Ideologie des vaginalen Orgasmus. Ihm fehle das Bewusstsein über die tatsächliche Krise zwischen einem kolonisierenden und einem kolonialisierten Geschlecht, weil er nur den Mann in der totalitären Gesellschaft, als Protagonist während Faschismus, Stalinismus, McCarthyismus thematisiert habe, nicht aber die Komplementarität von Mann und Frau. Nach Lonzi können sich die Partner laut Reich nach Wegfall der repressiven Momente von gesellschaftlichen Systemen ohne Vorbehalt gegenseitig hingeben. Doch es gehe eben nicht darum, sich dem anderen hinzugeben, sondern sich einzig und allein dem Phänomen – dem Orgasmus als Lusterfahrung – selber hinzugeben.
Der klitoridische Orgasmus als feministischer Widerstand
Die Erregung der Frau steht nach Lonzi in keiner direkten Beziehung zum Penis. Dennoch ist auch die Frau dem Mythos des vaginalen Orgasmus erlegen. Doch vaginaler Genuss entsteht durch Anpassung, durch eine Haltung, die dem Mann im Leben und in der Welt den Vorrang gibt. Diese Anpassung laufe über die Gefühlsebene und basiere nicht auf körperlicher Erfahrung. Während sexuelle Störungen des Mannes als gestörte Erektion definiert und daher als physisch bedingt körperbezogen behandelt werden, werde versucht, sexuelle Schwierigkeiten der Frau durch Einwirkung auf ihre Psyche zu beheben, nicht durch Einwirkung auf ihr körperliches Lustorgan, die Klitoris.
Die klitoridische Frau dagegen widersetze sich mit ihrer Bejahung der eigenen Sexualität der Kolonisierung, denn ihr Orgasmus sei nicht von Vermittlung abhängig, sondern erfolge durch Reizung der Klitoris – ob durch sich selbst oder eine andere Person, ob durch einen Mann oder eine Frau sei dabei nicht entscheidend. Sie wolle, so Lonzi, die Lust um ihrer selbst willen. Sie wolle weder eins werden mit dem Mann, noch leide sie unter dem Dualismus. Sie strebe ebensowenig nach dem Matriarchat, sondern die kleine Klitoris strebe nach Befreiung. Lonzis Kommentar endet – zumindest im Deutschen – wie so oft in einer sprachlichen Zuspitzung: «Es ist nicht mehr die Heterosexualität um jeden Preis, sondern die Heterosexualität, die keinen Preis hat.» (S. 63) Eben diese Haltung errege bei Männern Aggressionen, da sie die klitoridische Liebe einzig der lesbischen Beziehung zuordneten. Sie fürchteten die für sie darin implizierte grundsätzliche Ablehnung, Ursache der weit verbreiteten Aversion gegen den Feminismus.
Der Feminismus stellt sich gegen das Fortbestehen einer mythologischen Vervollkommnung des Paares und fordert stattdessen den Status des Individuums auch für die Frau. Er ist nach Lonzi aus dem Selbstbewusstsein der Frau entstanden, die ihren Kampf gegen das Patriarchat von ihrem eigenen Terrain her führe, nicht nur als Widerstand, sondern auch als ein eigene Werte setzendes Sein. «Die klitoridische Frau übermittelt eine Weiblichkeit, die sich nicht in einem passiven Wesen erkennt.» (S. 73) Sie kündige damit das Modell der Einheit von Lust und Fortpflanzung auf. «Es geht jetzt um den Bruch mit dem Sexualmodell von Penis und Vagina. Wenn das Verwirrung stiftet, muss die Feministin das in Kauf nehmen.» So das Fazit von Carla Lonzi zur gesellschaftlichen Bedeutung «der Lust Frau zu sein», ein Fazit, das angesichts der auch heute noch verbreiteten häuslichen Gewalt einerseits und der im Krieg gegen Frauen praktizierten sexuellen Gewalt anderseits zu weiteren Reflexionen Anlass geben sollte. Ein Fazit auch, dass trotz des Wandels in der Wahrnehmung weiblicher Sexualität unter den Vorzeichen von Operationen der Vagina und der Vermarktung der neuen Lustpille für die Frau, die im Gegensatz zu Viagra nicht auf den Körper, sondern auf das Gehirn einwirkt, immer noch Aktualität zukommt. Feministische Positionen zu beziehen bewirkt meiner Meinung nach in einem gesellschaftlichen Umfeld, in dem die weiblichen Lustpotentiale im Dienste kapitalistischer Profitmaximierung bis in alle Details ausgelotet werden, auch heute noch Verwirrung und Irritation – und Ablehnung. Doch das ist in Kauf zu nehmen, wenn auch leider im Gegensatz zur Aufbruchstimmung zu Carla Lonzis Zeiten in einem weit weniger lustvollen gesellschaftlichen Kontext.
Carla Lonzi: Die Lust Frau zu sein. Internationale Marxistische Diskussion 55. Berlin: Merve Verlag, 1975. 80 Seiten.