Eurokontroverse: «Links von» mit Plan A und Plan B

Mascha Madörin zur Griechenland- und Eurokrise


19. September 2015

Den Ausdruck «links von» («gauche de») entnehme ich dem Blog von Jacques Sapir (www.russeurope.hypotheses.org). Die Erfahrungen von Syriza mit den Institutionen der Eurozone und mit dem Internationalen Währungsfonds (IWF) haben zu einer intensiven Kontroverse innerhalb der Linken links von den etablierten Sozialdemokratien Europas geführt.

Es gibt zwar auch bei SozialdemokratInnen und sogar innerhalb der EU-Elite Debatten zur Notwendigkeit der Veränderung der Europäischen Wirtschafts- und Währungsunion (EWWU). Sie laufen darauf hinaus, dass föderativere Strukturen gefördert und mehr Fiskalentscheidungen nach Brüssel verlagert werden sollen. Sapir liefert eine sehr informative Analyse zu den Positionen von Sozialdemokraten wie beispielsweise dem französischen Wirtschaftsminister Emmanuel Macron und Sigmar Gabriel, dem deutschen Bundesminister für Wirtschaft und Energie und Vizekanzler (http://russeurope.hypotheses.org/4291). Der «inkomplette», der unvollendete Euro soll weiterentwickelt werden, indem eine handlungsfähige zentrale Struktur geschaffen wird: ein Eurokommissariat mit entsprechenden Kompetenzen und Kontrollorganen und mit Steuereinnahmen. Es gibt dabei mehrere entscheidende Punkte. Erstens sollen die Fiskalkompetenzen der Eurostaaten durch die Möglichkeit limitiert werden, dass ein Eurokommissar intervenieren kann. Zweitens sollen im Fall einer Krise – aber nur dann – finanzielle Transfers zwischen Staaten möglich gemacht werden (was heute durch den Maastricht-Vertrag verboten ist). Drittens wird vage eine Politik des regionalen Ausgleichs angesprochen, aber nicht, wie eine solche realisiert werden soll. Der einzige konkrete Vorschlag – was prominent auch von anderer Seite gefordert wird – ist eine Europäisierung der Arbeitslosenversicherung im Fall von Krisen. Aber von einem sozialen oder demokratischen Europa ist nicht die Rede.

Mitte September, anlässlich des «Fête de l’Humanité» in Paris, wurde ein Aufruf für einen Plan A und Plan B für Europa veröffentlicht, unterzeichnet von Jean-Luc Mélenchon, Mitbegründer der Parti de Gauche (Frankreich) und Mitglied des Europäischen Parlaments, von Stefano Fassina, Abgeordneter, ehemaliger stellvertretender Finanz- und Wirtschaftsminister (Italien), von Zoe Konstantopoulou, Präsidentin des griechischen Parlaments (Griechenland), von Oskar Lafontaine, ehemaliger Finanzminister, Mitbegründer von Die Linke (Deutschland), und von Yanis Varoufakis, Abgeordneter, ehemaliger Finanzminister (Griechenland).

Die wichtigsten Punkte des Plan A

«Aus diesem Finanz-Staatsstreich [gegenüber Griechenland, MM] müssen wir unsere Lehren ziehen. Der Euro ist das Werkzeug politischer und ökonomischer Dominanz einer kleinen europäischen Elite geworden.

[…] Wir sind entschlossen, mit diesem ‹Europa› zu brechen. Das ist die Grundvoraussetzung dafür, die Zusammenarbeit zwischen unseren Völkern und Ländern auf neuer Basis wiederaufzurichten. Wie können wir eine Politik umsetzen, die gute Arbeitsplätze vor allem für junge Menschen schafft, die Wohlstand umverteilt, eine ökologische Wende herbeiführt und die Demokratie wieder herstellt, in den Beschränkungen dieser EU? Wir müssen dem Irrsinn und der Unmenschlichkeit der aktuellen europäischen Verträge entkommen und sie von Grund erneuern, um die Zwangsjacke des Neoliberalismus abzustreifen, den Fiskalpakt aufzuheben und TTIP [Freihandelsabkommen zwischen der EU und den USA] zu verhindern.

[…] Dies ist unser Plan A: Wir werden alle in unseren Ländern, und alle zusammen überall in Europa, auf eine vollständige Neuverhandlung der europäischen Verträge hinarbeiten. Bis diese Neuverhandlung erreicht ist, beteiligen wir uns in einer Kampagne des europäischen zivilen Ungehorsams gegenüber willkürlichen europäischen Praktiken und irrationalen «Regeln» an den Kämpfen der Europäerinnen und Europäer überall in Europa.

Zu allererst muss die Eurogruppe rechenschaftspflichtig gemacht werden. Zudem muss die Mär beendet werden, dass die Europäische Zentralbank (EZB) «unpolitisch» und «unabhängig» wäre, wenn sie (auf schädlichste Weise) höchst politisch agiert, vollständig abhängig von bankrotten Bankern und deren politischen Handlangern, und bereit ist, Demokratie mit einem Knopfdruck zu beenden.

[…] Unser Plan A für ein demokratisches Europa, gestützt durch einen Plan B, der den Mächtigen zeigt, dass sie uns durch ihre Erpressung nicht unterwerfen können, ist offen und zielt darauf, die Mehrheit der Europäerinnen und Europäer anzusprechen. Dies erfordert ein hohes Mass an Vorbereitung. Die Debatte wird die technischen Elemente verstärken. Viele Ideen gibt es bereits: die Einführung eines parallelen Zahlungssystems, Parallelwährungen, digitalisierte Eurotransaktionen, ein Austritt aus der Eurozone sowie die Umwandlung des Euro in eine (demokratische) Gemeinschaftswährung.»

(Der Aufruf in Deutsch (unbefriedigend übersetzt), Englisch, Französisch, Italienisch und Spanisch ist zu finden auf der Website: http://www.jean-luc-melenchon.fr/2015/09/14/ein-plan-b-in-europa/).

An der Veranstaltung zum Aufruf hat auch Oskar Lafontaine eine Rede gehalten (ebenfalls auf der Website abrufbar, aber nur in Französisch). Lafontaine plädiert für eine sukzessive Abschaffung des Euro sowie die Einführung eines Europäischen Währungssystems und sieht in einem Grexit einen möglichen ersten Schritt, vorausgesetzt, dass der Übergang zu einer eigenen Währung von der EZB und generell den europäischen Institutionen entsprechend unterstützt wird. Varoufakis (und auch Syriza) ist immer noch gegen einen Grexit als politisches Programm. Der Aufruf ist allgemein formuliert, so dass sich Linke «links von» treffen können – trotz unterschiedlicher Ansichten über die Abschaffung des Euro. Das Gemeinsame ist die Kritik an der Architektur des Euro und an jeglichem Fehlen demokratischer Strukturen.

Die AutorInnen des Aufrufes schlagen einen europäischen Kongress zum Plan B für Mitte November 2015 vor.

Es gibt verschiedene interessante Aspekte dieser Pläne A und B: Zuerst einmal sind sie eine Absage an eine Debatte, die sich auf das Pro oder Contra eines Austritts aus dem Euro konzentriert. Das zeigt der letzte Abschnitt des oben zitierten Texts. Dazu kommt die Formulierung «mit diesem Europa brechen», die eine neue Bedeutung erhält: nämlich die Ablehnung des Finanzputsches, ein Anspruch auf Rechenschaftspflicht der EZB und der Euro-Gruppe, eine Demokratisierung der zentralen Euroinstitutionen sowie eine neue Architektur der Europäischen Wirtschafts- und Währungsunion. Bis jetzt hat beispielsweise der radikale Flügel von Syriza mit dem «Bruch mit Europa» einen Grexit respektive die Abschaffung des Euro gemeint. Das sieht ein wichtiger Theoretiker der neu gegründeten «Volkseinheit» immer noch so, wie das Interview mit Costas Lapavitsas vom 9. September in der US-amerikanischen Zeitschrift «Jacobin» zeigt. Lapavitsas ist ein vehementer Kritiker von Alexis Tsipras, dem zurückgetretenen griechischen Premierminister, und von Yanis Varoufakis. Er war von Anfang an überzeugt, dass der Euro abgeschafft werden muss, und ist es immer noch. Seine Argumentation ist zentral für die neu gegründete, von Syriza abgespaltene Bewegung «Volkseinheit». Interessant ist, dass er trotzdem die Initiative von Mélenchon und dessen MitstreiterInnen begrüsst. Lapavitsas vergleicht die vorgeschlagene Konferenz zur Demokratisierung und einer Alternative zum Euro mit der Zimmerwaldkonferenz vor 100 Jahren (https://www.jacobinmag.com/2015/09/grexit-popular-unity-eurozone-bailout-drachma/, Interview von Sebastian Budgens mit Costas Lapavitsas, Online-Beitrag vom 9. Sept. 2015).

Zur Frage des Grexit

Die Diskussionen über die Politik gegenüber dem Euro innerhalb der Linken sind gegenwärtig kontrovers und verwirrlich. Der zitierte Aufruf könnte bezüglich einer linken Politik gegenüber den Euroinstitutionen Klärung bringen und vielleicht auch Gegensteuer gegen eine meiner Ansicht nach gefährliche politische Entwicklung in Teilen der Linken Italiens und Frankreichs geben, welche in der Politik gegen den Euro eine Art nationalen Befreiungskampf und in der nationalen (wirtschaftspolitischen) Souveränität eine grundlegende Voraussetzung für Demokratie sehen wollen. So hat Stefano Fassina Ende Juli zu «einer Allianz nationaler Befreiungsfronten» aufgerufen (siehe den Artikel im «Daily Telegraph» vom 29. Juli: http://www.telegraph.co.uk/finance/economics/11768134/European-alliance-of-national-liberation-fronts-emerges-to-avenge-Greek-defeat.html). Ich weiss allerdings nicht, wie stark diese Tendenz ist; immerhin hat Fassina jetzt den Aufruf für einen linken Plan A und B mitunterzeichnet.

Die Kontroverse um den Grexit, alias Euroaustritt, findet auch innerhalb der Partei Die Linke in Deutschland statt. Die Diskussion hat sich vor allem daran festgemacht, welchen Teil von Syriza die Linke nun unterstützen soll. Darüber hat die Zeitung «Neues Deutschland» ausführlich berichtet und wird es wohl auch weiterhin tun. Hier sei auf zwei Artikel hingewiesen: Zuerst auf die Berichterstattung über die Debatte in Sachen Griechenland und einen Grexit vom 21. August (http://www.neues-deutschland.de/artikel/981966.linkenchef-riexinger-will-nicht-raus-aus-dem-euro.html). Was ein Grexit, respektive ein Übergang zu einer nationalen Währung in Griechenland ökonomisch bedeutet, ist zudem in einem sehr informativen Artikel von verschiedenen Autoren festgehalten, unter dem Titel «Rückkehr zur Drachme ist keine Lösung» (http://www.neues-deutschland.de/artikel/980960.rueckkehr-zur-drachme-ist-keine-loesung.html).

Ich kann mich der Argumentation dieses Artikels nur anschliessen. Vor allem will ich auf einen Punkt hinweisen: Griechenland würde trotz eigener Währung riesige Auslandsschulden in Euro behalten und würde damit weiterhin ähnlichen Verhandlungen (unter Führung des IWF) über seine Schulden ausgesetzt bleiben wie gegenwärtig. Der IWF hat in den 1980er- und 1990er-Jahren allen bankrotten Ländern mit eigener Währung und riesigen Dollarschulden ähnliche «Reformprogramme» aufgezwungen, wie sie jetzt Griechenland zum dritten Mal hat unterschreiben müssen. Das ist in diesem Artikel sehr gut beschrieben.

Gegenwärtig wäre ein Grexit also eine ökonomische Katastrophe für Griechenland. Das heisst aber nicht, dass der Euro und seine Architektur nicht generell zur Debatte stehen müssen. Es stellt sich die Frage, welche Architektur und vor allem welche Aufgaben ein gemeinsames Währungssystem oder eine Währungsunion heutzutage haben müssten, soll Europa aus der Eurokrise herauskommen sowie sozialer und demokratischer werden. In einem Artikel in der kürzlich erschienenen jüngsten Nummer 66 der Zeitschrift «Widerspruch» habe ich versucht zu analysieren, wie die beiden griechischen Politökonomen Costas Lapavitsas und Yanis Varoufakis ihre unterschiedlichen Positionen in Sachen Euro ökonomisch begründen: Ihre Analysen der Finanzkrise von 2008 unterscheiden sich, und nicht zuletzt deswegen kommen sie auch zu unterschiedlichen Analysen der Eurokrise wie auch zu unterschiedlichen Vorschlägen, was zu tun wäre (http://widerspruch.ch).


Mascha Madörin, Ökonomin, viele Jahre Koordinatorin des Südafrika-Boykotts in der Schweiz, Arbeit bei der Aktion Finanzplatz Schweiz. Seit den 1980er-Jahren Arbeit zur feministischen Wirtschaftstheorie und -politik, Spezialistin für Care Ökonomie. Zahlreiche Publikationen in Büchern und Zeitschriften.



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