Wirtschaftsdemokratie soll auch die Defizite der politischen Demokratie aufheben. Dabei geht Mitbestimmung in einer Mitarbeitergesellschaft weiter als eine bloss postulierte neue Wirtschaftsethik. Da die SPS bei Lippenbekenntnissen stehen geblieben ist, sind die Initiativen der JUSO in diesem Feld umso wichtiger. – Ein Diskussionsbeitrag von Willy Spieler zu Romeo Reys Artikel «Wirtschaftsdemokratie – Speerspitzen ins Fleisch der bürgerlichen Gesellschaft».
Zu Recht sieht Romeo Rey in der Demokratisierung der Wirtschaft die Alternative zur herrschenden Ideologie des neoliberalen Kapitalismus, der die Verfügungsgewalt über die Unternehmungen einzig und allein für die Kapitalseite beansprucht. Die damit verbundene Profitmaximierung richtet sich gegen die Arbeit, die zur Ware vulgo «Humankapital» und damit zum blossen Kostenfaktor im Kalkül der Unternehmensleitungen und des Aktionariats wird. Die ökonomische Alleinherrschaft erlaubt dem Kapital Massenentlassungen und Betriebsverlagerungen, die ohne Not und Notwendigkeit erfolgen, einzig und allein für die höhere Kapitalrendite. Diese Profitmaximierung verfolgt erst noch die Strategie der Krebszelle, ein Wachstum um des Wachstums willen, das uns sinn- und ziellos in den ökologischen Abgrund treibt. Der Neoliberalismus sagt dem «Effizienz».
Der demokratische Sozialismus hat ein anderes Menschenbild, das selbstbestimmte Autonomie mit kollektiver Partizipation verbindet. Wer von Entscheidungen existenziell betroffen wird, muss an ihnen teilnehmen können. Das gilt nicht nur für die politische Demokratie – das Ausländerstimmrecht als selbstverständlich vorausgesetzt –, das sollte vor allem auch für die Wirtschaft gelten. Je mehr die gesellschaftlich relevanten Entscheidungen in der Wirtschaft fallen, umso wichtiger werden Formen einer wenigstens gleichgewichtigen Mitbestimmung der Arbeitenden in Betrieben und Unternehmen. Inwiefern für die Mitbestimmung noch weitere «stakeholder» wie etwa die Konsumenten in Frage kommen, müsste diskutiert werden.
Ohne Demokratisierung der Wirtschaft wird auch die politische Demokratie immer mehr zur Farce. Das ist ja die Dialektik der neoliberalen Deregulierung, dass sie der Wirtschaft erlaubt, nicht nur ihr Kapital, sondern auch ihre Macht zu mehren. Deregulierung schlägt so um in neue Regulierung, aber nicht in eine Regulierung der Wirtschaft durch die Politik, sondern in eine Regulierung der Politik durch die Wirtschaft. Diese gibt dem Staat den Tarif durch, nicht nur den Steuertarif, sie beansprucht vielmehr die Definitionsmacht über das Gemeinwohl, das auf blosse Profitverträglichkeit vulgo «Standortvorteile» reduziert wird. Das aber ist eine völlig unzulässige Form der Annexion politischer Macht durch Gebilde, die keine demokratische Legitimation besitzen.
Als Fritz Naphtali 1928 im Auftrag des Deutschen Gewerkschaftsbundes sein viel zitiertes und wenig gelesenes Buch über Wirtschaftsdemokratie verfasste, begründete er diese nicht nur mit einer «Kritik der wirtschaftlichen Autokratie», sondern auch mit der «Unzulänglichkeit der politischen Demokratie». Diese doppelte Zielrichtung der Wirtschaftsdemokratie ist heute aktueller denn je. Es darf nicht sein, dass in der Politik ein anderes Menschenbild gilt als in der übrigen Gesellschaft, insbesondere in der Wirtschaft. Es ist auch gar nicht möglich, dass ein partizipatives Menschenbild im demokratischen Staat und ein autoritäres in der kapitalistischen Wirtschaft auf die Länge miteinander koexistieren können.
Die Neoliberalen haben diese Einheit des Menschenbildes insofern kapiert, als sie, freilich unter umgekehrtem – pervertiertem – Vorzeichen, den Staat immer mehr der Wirtschaft unterwerfen und ihn auch noch in seinen Restbeständen mit New-Public-Management-Konzepten auf die Karikatur des «Kunden» statt auf den «Citoyen» ausrichten. Die Privatisierung aller privatisierbaren Bereiche ist die logische Konsequenz des neoliberalen «homo» oder «homunculus oeconomicus».
Demgegenüber folgt aus einem partizipativen Menschenbild die Demokratisierung aller demokratisierbaren Bereiche, allen voran der Ökonomie. Der Mensch lässt sich nicht aufspalten in einen Staatsbürger und in einen Wirtschaftsuntertan, auch wenn dies immer wieder mit Erfolg betrieben wird, wie die Abstimmungsergebnisse in unserer sogenannt direkten Demokratie zeigen.
Die von Romeo Rey geforderte Mitbestimmung (mit dem Kapital) kann nur ein erster Schritt sein. Der von Rey erwähnte Ota Šik hat eine weitergehende «Mitarbeitergesellschaft» entwickelt, deren Konzept damit beginnt, dass es eine gesetzlich festgelegte Quote der Betriebsgewinne neutralisiert und der Belegschaft gutschreibt. Sobald das neutralisierte Kapital eine Mehrheitsposition erreicht, wählt die Hauptversammlung der Beschäftigten den Aufsichtsrat, der für alle grundsätzlichen Entscheidungen zuständig ist (Investitionen, Gewinnbeteiligung, Fusionen usw.) und auch den geschäftsführenden Vorstand ernennt. Der Übergang vollzieht sich so peu à peu, ohne Enteignung des bestehenden Privatkapitals qua Vermögenswert.
Weniger zielführend ist die Berufung auf Peter Ulrich. Bei allem Respekt vor seiner «integrativen Wirtschafts- und Unternehmensethik» fehlt hier gerade das Recht der Arbeitenden auf Partizipation an den Entscheidungen in Betrieben und Unternehmen. Der Schwerpunkt in der von Ulrich postulierten Liste der «Wirtschaftsbürgerrechte» liegt beim Bedingungslosen Grundeinkommen. Nur sollten wir dieses nicht gegen die Mitbestimmung ausspielen. Eine Grundsicherung des sozialen Existenzminimums gehört zur Wirtschaftsdemokratie, die ja nicht nur eine Erwerbswirtschaftsdemokratie sein kann. Inzwischen hat sich herumgesprochen, dass im Verhältnis zur bezahlten Arbeit mehr Arbeitsstunden unentgeltlich geleistet werden. Umgekehrt verkommt das Bedingungslose Grundeinkommen zur «Stillhalteprämie», wenn es die fehlende Wirtschaftsdemokratie kompensieren soll.
Wenn Romeo Rey das Parteiprogramm 2010 der SP Schweiz unerwähnt lässt, das die Wirtschaftsdemokratie ins Zentrum seiner «Visionen» stellt, kann ich das verstehen, da auch die sozialdemokratische Tagespolitik so verläuft, als ob selbst die bescheidensten Schritte zu Partizipationsrechten in der Wirtschaft dem St. Nimmerleinstag vorbehalten wären. Handlungsbedarf besteht für die Förderung und notabene auch Demokratisierung der von Romeo Rey hervorgehobenen Genossenschaften. Doch nichts geschieht. Steilpässe wie der Wirtschaftsnobelpreis für Elinor Ostroms «Verfassung der Allmende» oder das Uno-Jahr der Genossenschaften wurden nicht in Politik umgesetzt. Die Abzockerinitiative erhielt Beifall, als ob «Aktionärsdemokratie» mehr als ein Etikettenschwindel wäre. Massentlassungen um des reinen Profites willen von Lonza bis Sunrise und UBS werden zwar empört begackert, nicht skandalisiert wird jedoch die fehlende Mitbestimmung, die solcher Unternehmenswillkür wirksam begegnen könnte. Über Sika kann eine Familie beliebig verfügen, nur weil sie Vorzugsrechte geerbt, sonst aber herzlich wenig zum Gedeihen des Unternehmens beigetragen hat, und niemand, auch keine Gewerkschaft ist da, um ein Vetorecht für die Beschäftigten einzufordern.
Einzig die JUSO scheinen gewillt, die Wirtschaftsdemokratie im politischen Alltag ernst zu nehmen. Zu hoffen bleibt, dass sie ihr Projekt einer Fifty-fifty-Initiative in der Sache weiter verfolgen, auch wenn es vorläufig zurückgestellt worden ist. Die Idee, den Belegschaften dieselben Rechte einzuräumen wie dem Kapital, würde eine echte Parität der Mitbestimmung verbürgen. War es nicht das grosse Defizit der 1976 gescheiterten Mitbestimmungsinitiative, dass sie die wirtschaftliche Mitentscheidung auf die Verwaltungsräte verlagern statt an der Basis verankern wollte? Erst wenn der Generalversammlung der AktionärInnen eine Belegschaftsversammlung mit gleichen Rechten gegenübersteht, können die Arbeitenden auch die Grundsatzfragen der Unternehmenspolitik mitentscheiden, statt sie nur an ihre Vertretung hinter verschlossenen Türen des Verwaltungsrates zu delegieren. Dazu müssten die Unternehmen aus ihrem defizitären Status als Rechtsobjekte von Kapitalgesellschaften befreit und zu selbständigen Rechtssubjekten, sprich juristischen Personen, werden. So hat es schon in den 1970er Jahren der damals bedeutendste Sozialethiker in der BRD, Oswald von Nell-Breuning, mit seinem Konzept einer Unternehmensverfassung vorgeschlagen. Was zeigt, dass extrem nicht die Vorstellung der JUSO ist, sondern der Status quo einer arroganten Alleinbestimmung des Kapitals in der Schweiz.
Romeo Rey ist auch darin zuzustimmen, dass noch viel Gedanken- und Überzeugungsarbeit geleistet werden muss. Dazu gehören die Delegitimierung kapitalistischer Herrschaftsverhältnisse und die Agitation für Mitbestimmung, wo immer die Interessen der Beschäftigten zu kurz kommen. Dazu gehören Hinweise auf bewährte Beispiele, die es auch im Produktionssektor gibt. Dazu gehört nicht zuletzt eine Sprache, die dem Bürgertum nicht gleich mit «Speerspitzen» droht, sondern es in seinem demokratischen und zum Teil auch genossenschaftlichen Bewusstsein abholt.