Am 5. April 1942 erscheint in der New York Times ein Artikel mit der Überschrift An Anti-Nazi of 1548. Vorgestellt wird ein Text aus dem 16. Jahrhundert, nämlich der Discours de la servitude volontaire ou le Contr’un von Etienne de La Boétie (1530-1563), und er wird als Antwort auf die Verhältnisse in Nazi-Deutschland gelesen. Der … vorwärts
Theorie-Galerie
Kritisches Denken entspringt nicht dem Nichts. Erfahrungen prägen uns, aber auch Lektüren. Zuweilen mag ein funkelnder Gedanke, ein einschneidender neuer Ansatz genügen, um uns zu entzünden. Wir werden davon geprägt und kommen nicht mehr davon los, auch wenn wir womöglich davon weggekommen sind. Die Theorie-Galerie versammelt solche Funken. Autorinnen und Autoren aus einem breiten Spektrum stellen jeweils ein Buch vor, das sie und ihre Weltanschauung, ihre theoretische Arbeit, ihr politisches Engagement geprägt hat. Die persönliche Lektüre wird dabei gesellschaftspolitisch bedeutsam.
So wird die Theorie-Galerie zu einem kollektiven Gedächtnis und einem kollektiven Fundus von theoretischem Bewusstsein. Sie wird laufend ergänzt.
Esteban Piñeiro über Ernesto Laclau/Chantal Mouffe: Hegemonie und radikale Demokratie
Als das Credo der Ausländerintegration das historisch gefestigte Narrativ der Überfremdungsgefahr auf den Kopf stellte, war die Euphorie all jener Kreise gross, die jahrzehntelang auf eine gesellschaftliche und politische Anerkennung der Ausländer gehofft hatten. Die ersten sozialwissenschaftlichen Analysen zur offiziellen Ausgestaltung des Ausländeraufenthalts in der Schweiz beschrieben denn auch einen politischen Emanzipationsprozess – von der … vorwärts
Yves Kramer über FelS: Für eine linke Strömung
Ein politisches oder philosophisches Buch, das mein Denken und Handeln geprägt hat? Ich ziehe einige aus dem Regal, stöbere darin, stelle sie wieder zurück. Der Funke will nicht springen. Überall taucht ein „Ja, aber“ auf, das den Rest überstrahlt. Ich komme ins Grübeln. Gerne würde ich der Anfrage nachkommen und über ein Buch schreiben. Aber … vorwärts
Klaus Sorgo über Max Horkheimer: Zur Kritik der instrumentellen Vernunft
Lieber spät als nie, dachte ich, als ich vor kurzem den 1967 ins Deutsche übersetzten Text gelesen hatte. Bei seinem Erscheinen vor fünfzig Jahren hätte er mein Denken entscheidend verändern können. Doch dieses war noch nicht reif für einen Wandel. Die Kritische Theorie der Frankfurter Schule war mir damals zwar keine Unbekannte. Aber man kann … vorwärts
Giaco Schiesser über Oskar Negt/Alexander Kluge: Geschichte und Eigensinn
Schon Gestaltung und Haptik des Buches kündeten 1981 von Erweiterung, Bruch und Transformation ineins: gediegener dunkelblauer Umschlag, Autorennamen und Buchtitel in Goldprägedruck, 1283 Dünndruckseiten, rosa-orange, an die Eleganz und Griffigkeit der Gazzetta dello Sport erinnernd. Die protestantisch-nüchterne MEW-Ausgabe der DDR wurde hier ernstgenommen und ironisch-subversiv unterlaufen: Lust auf Ökonomie, Bedürfnis/Wunsch und Ästhetik verkündete alleine schon … vorwärts
Daniel Strassberg über Gilles Deleuze: Differenz und Wiederholung
Als Gilles Deleuze und Félix Guattari 1972 den Anti-Ödipus veröffentlichten, war das Echo in der Nach-68er-Szene gross: Das Rhizom, die Falte, die Mannigfaltigkeit etc. waren bald in aller Munde. Doch gelesen, geschweige denn verstanden wurde das Buch kaum. Kann man sich aber von einem Buch begeistern lassen, das man nicht versteht? Oder ist dies blosse … vorwärts
Mathias Eidenbenz über Claude Lévi-Strauss: Rasse und Geschichte
Manchmal hilft ein Buch. Ich hatte mich in den 1980er Jahren etliche Jahre mit Rassismus beschäftigt. Mit der Rassenpolitik des «Dritten Reichs», ihrer pseudowissenschaftlichen Begründung, mit der Eugenik, ihrer Entstehung, mit der Geschichte der physischen Anthropologie, immer auf der Suche nach den Elementen der Xenophobie und des Rassismus. Eine Menge lässt sich auflösen («analysieren») und … vorwärts
Louis Kuhn über Albert Schweitzer: Kulturphilosophie. Verfall und Wiederaufbau der Kultur
Am Anfang ist das Erleben. An einem provenzalisch warmen Nachsommertag langten wir auf den Spuren des Lebenswegs von Van Gogh in Saint-Rémy an. In der ehemaligen Nervenheilanstalt, wo er vorübergehend lebte und malte, überraschte mich an der Wand in einem ihrer Gänge eine eingerahmte vergilbte Zeitungsfotografie aus der Zeit des Ersten Weltkrieges. Darauf war mitten … vorwärts
Beat Ringger über Paul Watzlawick: Lösungen. Zur Theorie und Praxis menschlichen Wandels
Paul Watzlawick, systemischer Psychotherapeut und Kommunikationswissenschaftler, ist vielen bekannt als Autor des Büchleins Anleitung zum Unglücklichsein, in dem er sich mit paradoxen Wirkungen von Kommunikationsmustern und inneren Dialogen auseinandersetzt. Weit weniger bekannt ist eines seiner grundlegenden Werke, das er 1974 zusammen mit zwei andern Wissenschaftlern der Palo-Alto-Gruppe am Mental Research Institute in Kalifornien verfasste und … vorwärts
Lisa Schmuckli über Diotima und Christina von Braun: Nicht-Ich
„Sei doch nicht derart hysterisch!“ Wie oft musste ich mir diesen Vorwurf inmitten einer familiären Diskussion oder kollegialen Auseinandersetzung anhören. Erst verdutzte mich dieser Vorwurf, später ärgerte ich mich über diese – durchaus politische – Strategie, mich in den Argumenten oder im Ausdruck zu bremsen. Schliesslich trieb mich die Neugier an, meinem Unbehagen nachzugehen: So … vorwärts