Der faustische Drang herauszufinden, „was die Welt im Innersten zusammenhält“, hat meine Neugierde während Jahrzehnten wachgehalten. Sie setzte lange vor der Zeit ein, als die Wissenschaft zu meinem Beruf wurde. Und sie hält bis heute an, obwohl die Erwerbsarbeit hinter mir liegt. Bei meinen Versuchen, die Neugierde zu stillen, stiess ich immer wieder auf Bücher, … vorwärts
Theorie-Galerie
Kritisches Denken entspringt nicht dem Nichts. Erfahrungen prägen uns, aber auch Lektüren. Zuweilen mag ein funkelnder Gedanke, ein einschneidender neuer Ansatz genügen, um uns zu entzünden. Wir werden davon geprägt und kommen nicht mehr davon los, auch wenn wir womöglich davon weggekommen sind. Die Theorie-Galerie versammelt solche Funken. Autorinnen und Autoren aus einem breiten Spektrum stellen jeweils ein Buch vor, das sie und ihre Weltanschauung, ihre theoretische Arbeit, ihr politisches Engagement geprägt hat. Die persönliche Lektüre wird dabei gesellschaftspolitisch bedeutsam.
So wird die Theorie-Galerie zu einem kollektiven Gedächtnis und einem kollektiven Fundus von theoretischem Bewusstsein. Sie wird laufend ergänzt.
Gaudenz Pfister über Karl Marx: Der achtzehnte Brumaire des Louis Bonaparte
Zum ersten Mal habe ich den ‘18. Brumaire’ von Marx gelesen, als ich schon einige Zeit in der politischen Widerstandsbewegung aktiv war. Ich war unmittelbar angezogen davon, wie es Marx gelang, in den Bewegungen der Tagespolitik die Klassenverhältnisse so zu benennen, dass die immer willkürlich und chaotisch scheinenden Bewegungen des politischen Alltags einen Sinn bekamen. … vorwärts
Michael Pfister über Friedrich Nietzsche: Über Wahrheit und Lüge im aussermoralischen Sinne; Die fröhliche Wissenschaft; Zur Genealogie der Moral
«Nietzsche ist gefährlicher als Sex!», lehrte uns siebzehnjährige Gymnasiasten der Geschichtslehrer, der ausserdem Sigmund Freud vor allem deshalb für halbwegs kompetent hielt, weil er «immerhin ein paar Frauen auf der Couch hatte». Warnungen sind bekanntlich die beste Werbung, und die Kostprobe, die uns der gestrenge Schulmeister vorlegte, tat ein Übriges. Kein poetisches Gleichnis aus dem … vorwärts
Ginevra Signer über Tommaso Campanella: La Città del Sole
Vor vielen Jahren las ich mit naiver Begeisterung «La Città del Sole», auf deutsch «Der Sonnenstaat». Die Naivität ist mir seither angesichts der vielen real existierenden und brutal verkommenen Utopieversuche abhanden gekommen. An Utopien bin ich aber nach wie vor interessiert. Der Dominikanermönch, Philosoph und Wissenschafter Tommaso Campanella erdachte und beschrieb 1602 ein utopisches, wenn … vorwärts
Elisabeth Joris über Carla Lonzi: Die Lust Frau zu sein
Im Jahr 1975, in dem Alice Schwarzer mit dem Buch Der kleine Unterschied und seine grossen Folgen über den Zwang der Frauen zur normierten Heterosexualität ein grosses mediales Echo auslöste, veröffentlichte der Merve Verlag Berlin die von der Öffentlichkeit kaum beachtete Broschüre Die Lust Frau zu sein von Carla Lonzi. In der Reihe «Internationale Marxistische … vorwärts
Ariane Tanner über Pierre Bourdieu: «L’illusion biographique»
«Allgemeine Geschichte»: Nur schon diese Bezeichnung! Wenn ich dieses Fach wählte – so mein zu Beginn des Studiums vor mir selbst verheimlichter und erst später eingestandener Gedanke –, würde ich endlich wissen, erstens, wie alles war, zweitens, wie alles gekommen ist, und demnach, drittens, weshalb alles so ist, wie es ist. Ein Gedanke, der eine … vorwärts
Léa Burger über Henri Lefebvre: Die Produktion des Raums
Existenz findet immer im Raum statt und hat einen Ort: Sowohl physisch-materiell wahrnehmbare als auch mental-geistige Dimensionen von Seinsformen kommen ohne Räumlichkeit nicht aus. Vielleicht gerade deswegen erscheint uns die Kategorie Raum als etwas Selbstverständliches. Während er in den Naturwissenschaften schon lange beobachtet, vermessen und analysiert wird, blieb die Aufmerksamkeit innerhalb der geistes-, kultur- und … vorwärts
Nicole Peter und Lukas Germann über Heinrich von Kleist: Die Verlobung in St. Domingo
„… aber des Ärmsten Schädel war ganz zerschmettert, und hing, da er sich das Pistol in den Mund gesetzt hatte, zum Teil an den Wänden umher.“ – Kleists Die Verlobung in St. Domingo und die Gewaltfrage. *** In unserem unregelmässig erscheinenden Theorie- und Debattenprojekt Respektive thematisieren wir aus linker Perspektive drängende Fragen unserer heutigen Gesellschaft. … vorwärts
Basil Oberholzer über Yanis Varoufakis: Modern Political Economics
Wie können die Wirtschaftswissenschaften nach der Finanzkrise von 2008 weiterhin funktionieren? Oder besser: Wie können sie zu funktionieren beginnen? Yanis Varoufakis, Joseph Halevi und Nicholas Theocarakis blicken im ersten Teil ihres Buchs „Modern Political Economics: Making Sense of the Post-2008 World“ auf einige Jahrhunderte ökonomischen Denkens zurück. Müsste man die Schlussfolgerung kürzest möglich zusammenfassen, kämen … vorwärts
Werner Kallenberger über Kapitalismus als Religion
Walter Benjamin veröffentlichte 1921 sein Fragment «Kapitalismus als Religion». Dirk Baecker publizierte dazu 2003 als Herausgeber einen gleichnamigen Sammelband, eine hervorragende Anthologie, in welcher aus unterschiedlicher Sicht diskutiert wird, ob der Kapitalismus eine Religion sei oder nur wie eine Religion wirke. Diese Fragen sollten auch heutige Geldreformer bzw. Kapitalismuskritiker interessieren. Seit dem Zusammenbruch des «Realsozialismus» … vorwärts