Paul Watzlawick, systemischer Psychotherapeut und Kommunikationswissenschaftler, ist vielen bekannt als Autor des Büchleins Anleitung zum Unglücklichsein, in dem er sich mit paradoxen Wirkungen von Kommunikationsmustern und inneren Dialogen auseinandersetzt. Weit weniger bekannt ist eines seiner grundlegenden Werke, das er 1974 zusammen mit zwei andern Wissenschaftlern der Palo-Alto-Gruppe am Mental Research Institute in Kalifornien verfasste und das den kurzen Titel Lösungen trägt.
In diesem Werk beschäftigen sich die drei Autoren – neben Watzlawick sind dies John H. Weakland und Richard Fisch – mit der Frage nach dem Wesen des Wandels, nach den Bedingungen, unter denen Probleme entstehen und Lösungen gefunden oder vermieden werden. Dabei beziehen sie sich in ihrem Beispielmaterial häufig auf Vorgänge im Bereich der Psychologie und der zwischenmenschlichen Kommunikation, reklamieren jedoch zu recht, mit ihren Untersuchungen weit über das psychologische Feld hinaus zu bedeutsamen Aussagen zu gelangen. Watzlawick wird häufig in den geisteswissenschaftlichen Strömungen der Systemtheorie und des radikalen Konstruktivismus verortet. Während andere Vertreter dieser Strömung – zum Beispiel Niklas Luhmann – zu einer Theoretisierung der Unwandelbarkeit komplexer sozialer Systeme neigen, sind die Autoren von Lösung jedoch genau am Gegenteil interessiert: Am Wandel. Darin treffen sie sich mit all jenen, die das emanzipatorische Potential gesellschaftlicher Prozesse verstehen und fördern wollen.
Watzlawick et al treffen in ihrer Untersuchung eine zentrale Unterscheidung zwischen Lösungen erster Ordnung, die sich innerhalb der Gesetzmässigkeiten eines Systems finden lassen, und Lösungen zweiter Ordnung, die nur „ausserhalb“ des Systems entwickelt werden können. Probleme entstehen unter anderem dann, wenn Lösungen auf der falschen Ordnungsebene gesucht werden. Die Autoren von Lösungen gehen davon aus, dass in jedem System ein Set von Regeln Geltung hat, durch welche dieses zusammengehalten wird. Sie beziehen sich dabei auf zwei mathematische Modelle, die Gruppentheorie und die Mengenlehre. Sie tun dies jedoch nicht in der Absicht, den System-Regelwerken mathematische Exaktheit zu unterstellen, sondern in der Funktion eines Begriffsrahmens, der es erlaubt, die Frage nach dem Wandel in der nötigen Abstraktion diskutieren zu können. Die Lektüre ihres Buches setzt denn auch keinerlei mathematische Kenntnisse voraus. Sie eruieren dabei zwei typische Problemsituationen. In der einen entsteht das Problem dadurch, dass nach dem Lösungsmuster ‚Mehr vom Selben‘ verfahren wird. Dieses Lösungsmuster ist typisch für Lösungen 1. Ordnung und oft auch zweckdienlich. Beispiel: Wenn die Temperaturen im Winter sinken, führt ein Mehr an Heizen zum Erhalt der gewünschten Innentemperatur. Häufig jedoch wird dieses Lösungsmuster auch dann eingesetzt 615-544-8639 , wenn ein Mehr vom Selben durch übergeordnete Grenzen verwehrt ist oder zu paradoxen Wirkungen führt. Ein zweites verführerisches Lösungsmuster, mit dem Probleme häufig verschärft werden, bezeichnen die Autoren als ‚schreckliche Vereinfachung‘: Verfahren, die nicht in der Lage sind, wichtige (manchmal lebenswichtige) Faktoren einzubeziehen.
Mit diesen hier – selbstredend nur summarisch erläuterten – Begrifflichkeiten lässt sich bereits eine fundierte Kapitalismuskritik formulieren (was die Autoren allerdings selber nicht machen). Demnach basiert das innere Regelwerk des Kapitalismus sowohl auf einem ‚Mehr vom Selben‘ als auch auf einer ‚schrecklichen Vereinfachung‘. Mehr vom Selben meint hier auf ökonomischer Ebene den Zwang zur Gewinnoptimierung, zu Kapitalakkumulation, zu kapitalistischem Wachstum. Auf politischer Ebene spiegelt sich dieser Zwang in den neoliberalen Dogmen der Deregulierung und der Privatisierung: Wenn diese nicht die gewünschten Effekte erzielen, dann braucht es eben einfach noch ein Mehr davon. Die schreckliche Vereinfachung wiederum besteht darin, dass sich das Kapital sämtliche Bereiche unterwirft, in denen es möglich ist, warenförmige Verhältnisse durchzusetzen, und in all diesen Verhältnissen der kommerziell verwertbare Tauschwert an erste Stelle gesetzt wird, während der stoffliche Nutzen oder Schaden nur noch von mittelbarem Interesse ist.
Die Analyse der Verhältnisse als ‚schreckliche Vereinfachung‘ beleuchtet einen wichtigen Aspekt der kapitalistischen Warengesellschaft, der wesentlich über manch gängige linke Kritik hinausweist. Die stofflichen Eigenheiten eines bestimmten gesellschaftlichen Bereichs (z.B. der Landwirtschaft, der Betagtenpflege, der Bauwirtschaft, der Energieversorgung) werden in der kapitalistischen Vereinfachung plattgewalzt zugunsten der Einförmigkeit einer Ökonomie, die sich nur für die kommerziellen Verwertbarkeiten – eben den Tauschwert – interessiert. Kapitalistische Verhältnisse werden nun aber nicht einfach dadurch transzendiert, indem diese ‚schreckliche Vereinfachung‘ durch eine andere – letztlich ebenso schreckliche – Vereinfachung ersetzt wird, also indem das Prinzip der Profitmaximierung einfach durch dasjenige der Planung ersetzt wird (so sehr Planen zum ausbaufähigen Repertoir alternativer Verhältnisse gehört). Vielmehr geht es darum, die stofflichen Welten wieder in ihr Recht zu setzen, d.h. einen je sachgerechten Umgang mit ihnen zu entwickeln, der sich wesentlich unterscheidet: Softwareentwicklung hat mit Betagtenpflege nur wenig gemeinsam.
Watzlawick, Weakland und Fisch sind gewiefte Dialektiker. Nicht zufällig spielt der Begriff Paradoxie in ihren Untersuchungen eine wichtige Rolle. Sie weisen etwa darauf hin, dass Satz und Gegensatz durch innere Bande miteinander verbunden sind, und dass deshalb eine Lösungssuche, die auf das Gegenteil des Satzes fixiert ist, ebenso zu Blockaden führen kann wie ‚Mehr vom Selben‘. In der Übertragung auf eine emanzipatorische Politik heisst das etwa, dass transformierende Lösungen 2. Ordnung über die Konfiguration der Klassengegensätze hinaus weisen müssen.
Einen besonderen Akzent legen die drei Autoren auf die Utopiegefahr, auf Lösungsentwürfe, die unerreichbar sind und gerade deshalb selbst zum Problem werden können. Dies macht auf ein Kernproblem der klassischen Linken aufmerksam, in der der Sozialismus als eine Utopie gedacht wurde, statt ihn in erster Linie als historische Herausforderung zu konzipieren.
Lösungen ist kein ‚linkes‘ Buch. Es bietet kein begriffliches Instrumentarium, um ökonomische Verhältnisse und Beziehungen zwischen Klassen und Schichten zu diskutieren. Begriffe wie Kapitalismus, Emanzipation und Ausbeutung kommen darin nicht vor. Doch es bietet mannigfache methodische Anregungen für ein kritisches Denken. Seine Lektüre kann nur wärmstens empfohlen werden.
Paul Watzlawick, John H. Weakland, Richard Fisch: Lösungen. Zur Theorie und Praxis menschlichen Wandels. 5. Auflage. Bern-Göttingen-Toronto 1992
Gottfried Treviranus
Es mag dahingestellt sein, ob Watzlawick über seine schaurigen Irrtümer zur Schizophrenie hinaus wirklich für linke rationale Politik taugt, aber der Wille eines Drittels der Menschheit, mehr von demselben zu wollen und zu denken, welcher von einem anderen Drittel als terrible semplification abhorresziert wird, sollte als angeborene die Motive alle unterwerfende Psychologische in etlichen Experimenten gesicherte Tatsache (Richard Sorrentino, The Uncertain Mind) unsere frei flottierende idealistische neugierige, diesbezüglich immer gleich räsonnierende “Linke” doch etwas mehr interessieren, da sie seit Macchiavelli das anthropologische Fundament der Politologie darstellt.