Schon Gestaltung und Haptik des Buches kündeten 1981 von Erweiterung, Bruch und Transformation ineins: gediegener dunkelblauer Umschlag, Autorennamen und Buchtitel in Goldprägedruck, 1283 Dünndruckseiten, rosa-orange, an die Eleganz und Griffigkeit der Gazzetta dello Sport erinnernd. Die protestantisch-nüchterne MEW-Ausgabe der DDR wurde hier ernstgenommen und ironisch-subversiv unterlaufen: Lust auf Ökonomie, Bedürfnis/Wunsch und Ästhetik verkündete alleine schon … vorwärts
Kultur
Mathias Eidenbenz über Claude Lévi-Strauss: Rasse und Geschichte
Manchmal hilft ein Buch. Ich hatte mich in den 1980er Jahren etliche Jahre mit Rassismus beschäftigt. Mit der Rassenpolitik des «Dritten Reichs», ihrer pseudowissenschaftlichen Begründung, mit der Eugenik, ihrer Entstehung, mit der Geschichte der physischen Anthropologie, immer auf der Suche nach den Elementen der Xenophobie und des Rassismus. Eine Menge lässt sich auflösen («analysieren») und … vorwärts
Louis Kuhn über Albert Schweitzer: Kulturphilosophie. Verfall und Wiederaufbau der Kultur
Am Anfang ist das Erleben. An einem provenzalisch warmen Nachsommertag langten wir auf den Spuren des Lebenswegs von Van Gogh in Saint-Rémy an. In der ehemaligen Nervenheilanstalt, wo er vorübergehend lebte und malte, überraschte mich an der Wand in einem ihrer Gänge eine eingerahmte vergilbte Zeitungsfotografie aus der Zeit des Ersten Weltkrieges. Darauf war mitten … vorwärts
Thomas Barfuss über Antonio Gramsci: Gefängnishefte
Antonio Gramsci hinterliess bei seinem Tod 1937 an die dreissig Schulhefte mit Notizen, Reflexionen und Entwürfen aus dem Gefängnis. Von 1991 bis 2002 wurden sie übersetzt und liegen seit 2012 auch in einer Taschenbuchausgabe vor. Die Lektüre ist eine spannende Herausforderung – man kann dem sardischen Revolutionär und Philosophen beim imaginären Dialog mit Dante, Marx … vorwärts
Pius Frey über Wole Soyinka: Die Ausleger
Die äusserst bewegten 70er-Jahre neigten sich dem Ende zu und machten Platz für eine neue bewegte Zeit. Die 80er-Jahre. Die 70er waren für mich: Weg aus dem miefigen St. Gallen. Lehre in Basel. Politik und Kultur in einer grossen Breite. Kämpferische Lehrlingsgruppe. Einstehen für die Rechte der Arbeitenden. Neue Musik, neues Theater. Gegen AKWs. Für … vorwärts
Kurt Seifert über Rudolf Bahro: Die Alternative. Zur Kritik des real existierenden Sozialismus
Als eifrigem Spiegel-Leser war mir der öffentliche Auftritt eines bis dahin noch unbekannten marxistischen Kritikers des «real-existierenden Sozialismus» in der DDR im August 1977 selbstverständlich nicht entgangen. Gewiss, da gab es auch andere, doch dieser versprach einen anderen Ton, einen radikalen Zugriff auf das Thema: Der Philosoph Rudolf Bahro beschränkte sich nicht darauf, bestimmte «Deformationen» … vorwärts
Andreas Bürgi über Rudolf zur Lippe: Naturbeherrschung am Menschen
Vor ein paar Monaten beim Zügeln die Frage vor dem Büchergestell: Was wird ausgeschieden, was nicht? Nie geht man seine Bibliothek so minuziös durch wie bei dieser Gelegenheit, und da kommen Dinge zum Vorschein, ich traute meinen Augen kaum. Besonders berührt haben mich die zerfledderten, auf schlechtem Recycling-Papier gedruckten Junius-Bücher aus den Siebzigerjahren mit Adorno-Vorlesungen … vorwärts
Fritz Billeter über Walter Benjamin: Das Kunstwerk im Zeitalter seiner technischen Reproduzierbarkeit
Zwei Schriften mussten wir 68er unbedingt gelesen haben: Die Worte des Vorsitzenden Mao Tsetung (1972 ins Deutsche übersetzt) und Das Kunstwerk im Zeitalter seiner technischen Reproduzierbarkeit, 1936 erstmals in Paris erschienen. Die beiden Publikationen haben wenig gemein. Das «Rote Büchlein» kam im bereits revolutionierten China heraus, es diente als Anleitung zur Praxis und richtete sich … vorwärts
Anni Lanz über Ryad Assani-Razaki: Iman
Als ich Dala eröffnete, dass seine zwei Zimmernachbarn in der Dreizimmerwohnung ein Algerier und ein Türke sein werden, erschrak er und sagte unvermittelt: «Aber das geht doch nicht. Sie werden mich, den Schwarzhäutigen, nicht akzeptieren.» Diese spontane Reaktion hat mich überrascht und an Ryad Assanis Roman erinnert: «Wir können das Elend nicht besiegen. Es liegt … vorwärts
Stefan Howald über Projekt Ideologie-Theorie: Theorien über Ideologie
Natürlich, da gab es Louis Althusser. Ideologie und ideologische Staatsapparate, ein längerer Aufsatz, 1969 von ihm geschrieben, war auf Deutsch 1973 erschienen, in einer schlechten Übersetzung und in einer dilettantisch zusammengestellten und drucktechnisch katastrophal aufgemachten Artikelsammlung, beinahe einem Raubdruck. Darin tauchten leuchtende Gedanken auf, eher Gedankensplitter: dass Ideen, Ideologien nicht blosse Gedanken, luftige Gespinste sind, … vorwärts