Die Debatte um den Entwurf für ein Kantonales Gleichstellungsgesetzt im Kanton Baselstadt/Schweiz macht die Differenzen zwischen Teilen der LGBTI-Community und Teilen der Frauenbewegung offenbar. Diese sollen hier aus Sicht der Gegner:innen erörtert werden. 1
Das Konzept des „erweiterten Geschlechts“ bzw. des „inklusiven Geschlechterbegriffs“2 ist weder theoretisch noch praktisch überzeugend. Es ist meines Erachtens unabdingbar, dass wir uns zunächst – bevor Sprachgebrauch und Gesetze geändert werden – mit dem biologischen Geschlecht (sex) befassen.
Im Interesse der Gesundheit
Fragen zunächst ganz naiv: Weshalb ist es wichtig, das biologische Geschlecht anzuerkennen? Zuerst geht es um die Unversehrtheit des menschlichen Körpers und um eine angemessene Gesundheitsversorgung. Wird ein Mensch geboren, sind seine Geschlechtsmerkmale in aller Regel gut sichtbar. Sind sie dies nicht, liegt es im unmittelbaren Interesse des Neugeborenen selbst sowie im Interesse seiner Eltern, dass abgeklärt wird, ob eine anatomische oder physiologische Besonderheit vorliegt, die das Kind gesundheitlich beeinträchtigen kann. Es geht hier zum Beispiel um im Unterleib verbliebene, nicht abgestiegene Hoden oder um eine funktionsfähige Harnröhre.
Für die Gesundheitsversorgung eines Menschen ist das biologische Geschlecht wichtig. Diese Ansicht wird prominent von Mediziner:innen vertreten. In diesem Sinn äusserte sich zum Beispiel die Kardiologin Vera Regitz-Zagrozek, eine Pionierin der Gendermedizin in Europa: „Die ebenfalls von einigen Feministinnen vertretene Behauptung, auch die biologischen Grundlagen von Geschlecht seien sozial konstruiert, funktioniert für mich als Medizinerin nicht.“ 3 Die beschreibende Kategorie „sex“ ist medizinisch zentral, ganz gleich, welche Geschlechtsidentität vorliegt (und ob diese evtl. im Lauf des Lebens ändert). Deshalb ist an dem Eintrag „biologisches Geschlecht“ im Geburtsregister festzuhalten. Allerdings hat das Schweizerische Recht Mängel: Es braucht eine gute Lösung für Neugeborene, die intergeschlechtlich zur Welt kommen4: Es muss möglich sein, mit dem Eintrag ins Geburtsregister zu warten und/oder den Eintrag „inter“ machen zu lassen. Die medizinische Versorgung muss zum Ziel haben, dass der Leib des Neugeborenen unversehrt bleibt. Es sollen nur sinnvolle Eingriffe bzw. nur medizinisch notwendige Operationen erfolgen.5 Im Interesse des Kindes liegt wohl auch eine Abklärung der Ursachen für die intergeschlechtliche Erscheinung (also Untersuchungen des Hormonspiegels, der Chromosomen und/oder Gene).
Nicht nur als Kinder, auch als Jugendliche und Erwachsene sind wir absolut darauf angewiesen, dass wir entsprechend unserer biologischen Ausstattung medizinisch versorgt werden. Ich verweise hier auf die Gendermedizin: Hierbei ist eine Medizin gemeint, die bei Diagnosen und Therapien sowie bei der Entwicklung von Medikamenten die unterschiedliche Biologie von Frauen und Männern von Anfang an einbezieht. Zudem muss auch der evtl. geschlechtertypische Lebensstil berücksichtigt oder auf die soziale Rolle geachtet werden, um Frauen und Männer möglichst adäquat zu behandeln. Die bis heute extrem männerzentrierte Medizin6 soll durch eine geschlechtergerechte Medizin ersetzt werden. Eine solche Medizin würde sich meines Erachtens auch adäquat um Queers kümmern. In jedem Fall würde der konkrete Leib wahrgenommen und ebenfalls die Leiberfahrung aller Personen.
Sinnvollerweise sprechen wir weiterhin von Mädchen und Frauen, Jungen und Männern
Die Sprechweise „Frauen“ und „Männer“ ist durchaus mehrdeutig, wie Genderforscher:innen stets betonen, denn wer „Frau“ sagt, denkt dabei fast automatisch an ein durch die Kultur geprägtes Bild und entsprechende Geschlechterrollen. Noch stärker ist dies der Fall, wenn wir von männlichen und weiblichen Eigenschaften sprechen. Aber: Es gibt auch eine beschreibende Ebene des biologischen Geschlechts, die nicht normativ ist. Selbst wenn wir bei der Nennung des biologischen Geschlechts unbewusst die Rollenzuschreibungen der eigenen Kultur mitdenken, heisst dies nicht, dass es keine von solchen Zuschreibungen unabhängige biologische Ausstattung gibt. Dies sieht man etwa daran, dass es in jedem Volk der Erde, in jeder uns bekannten menschlichen Gemeinschaft, üblich ist, das Geschlecht des Neugeborenen zu nennen. Und dies, obwohl sich die Ethnien bezüglich Geschlechterrollen sehr stark unterscheiden, und obwohl es zu allen Zeiten intergeschlechtliche Menschen gegeben hat. Die Angabe, es sei ein Mädchen oder ein Junge, ist somit keine willkürliche oder gar wertende Aussage zum Geschlecht, sondern zuallererst ein Hinweis auf den Körper des Neugeborenen. Unterliesse man eine solche Beschreibung mit der konkreten Benennung Mädchen oder Bub, hätte man gar nichts gewonnen: Wir Menschen können das biologische Geschlecht auch unbewusst, ohne Sprechakt, feststellen – hier sind wir nicht anders als andere Primaten.7
Was ist wissenschaftlich haltbar?
Sozialwissenschaftler:innen und Personen aus der Queerszene interpretieren die Tatsache, dass es Intergeschlechtliche und Transpersonen gibt, als Beleg dafür, dass das Konzept der natürlichen Zweigeschlechtlichkeit falsch sei. Doch die Tatsache, dass es (durch Mutationen und ungewöhnliche Neukombinationen von Erbgut) geschlechtlich uneindeutige Menschen gibt, stellt das jahrtausendealte Wissen um die Zweigeschlechtlichkeit bei Säugetieren und eben auch beim Menschen nicht in Frage. Auch die selten auftretenden transidenten Personen zwingen nicht, die bipolare Geschlechterkategorie aufzugeben. Das wissenschaftliche Konzept der zwei biologischen Geschlechter ist auch in Anbetracht neuerer, differenzierterer Faktenlage richtig, denn es bezieht sich auf die Fortpflanzungsmöglichkeiten sowie darauf, dass weibliche und männliche Menschen ein Ergebnis der Evolution darstellen. Das menschliche Erfahrungswissen stimmt mit dem überein, was die biologische Wissenschaft beschreibt. Durch die beobachteten Ausnahmen (intergeschlechtliche Personen) wird das Prinzip, dass Frauen diejenigen sind, die Eizellen besitzen und gebären können, und Männer diejenigen, die Spermien beisteuern, nicht in Frage gestellt. Ganz grundsätzlich sind wissenschaftliche Denkkonzepte8 nicht automatisch falsch, wenn es Ausnahmen gibt, denn wissenschaftliche Konzepte (und auch Erfahrungswissen) sind keine Hypothesen über Ursachen und Wirkungen. Somit können Ausnahmen nicht so interpretiert werden wie eine Beobachtung, die eine zuvor aufgestellte Hypothese widerlegt.
Eine völlig andere Frage ist, wie wir der gesellschaftlichen Diskriminierung von Menschen aufgrund ihrer Geschlechtsidentität, ihrer sexuellen Orientierung oder ihrer Lebensweise wirksam entgegentreten können.
Sprechakte
Philosophinnen wie Judith Butler9 haben angeregt, darüber nachzudenken, ob wir den Begriff Geschlecht nicht vollständig dekonstruieren sollten, weil durch die Bezeichnungen „Frau“ und „Mann“ bereits ein hierarchisches, patriarchalisches Denken insinuiert werde. Weiter machte sich Butler Gedanken über die Wirkung der Sprache auf unser biologisches Geschlecht. Ihre Denkanstösse wurden in Fachkreisen ausführlich diskutiert, wie Herta Nagl-Docekal im 2001 erschienenen Band „Feministische Philosophie“ dokumentiert. Wäre es so (wie Butler postulierte), dass sich die Zuschreibung zu einem Geschlecht ganz tief auch auf das physische Leben einschreiben würde, dann könnte man dies empirisch nachweisen. Es müsste dann so sein, dass eine transidente Person, die von ihrem Umfeld auch entsprechend wahrgenommen und behandelt wird, körperliche Veränderungen aufwiese. Dies ist jedoch nicht der Fall. Hätte die Sprache und die Art, wie man von der Umwelt gelesen wird, einen so grossen Einfluss, wie Butler und andere annehmen, könnte Folgendes beobachtet werden: Menschen, die operiert und im „falschen“ Geschlecht erzogen wurden, hätten dann Mühe zu glauben, dass sie kein „echtes“ Mädchen bzw. kein „echter“ Junge sein sollen. Dies ist jedoch nicht der Fall. Im Gegenteil: Menschen, die im Kleinkindalter oder sogar unmittelbar nach der Geburt einer Geschlechtsumwandlung unterzogen wurden, finden sich nicht zurecht in dem durch die Medizin erzeugten Geschlecht10.
Ein sehr wichtiges Argument gegen Butler lautet: Wenn man die Begriffe „Frau“ und „Mann“ als normativ versteht, kann man sie nicht gleichzeitig als „konstitutiv“ verstehen. Mit anderen Worten: Wenn ich etwas definiere, darf ich die „wertende“ Ebene (die normative) nicht verwechseln mit der „beschreibenden“ Ebene. Bei dieser Verwechslung der Ebenen spricht man auch von Kategorienfehler.
Nagl-Docekal kritisiert zudem Butlers Versuch, mit dem Konzept der Materialisierung, die Sprache für die Ausprägung des Geschlechts mitverantwortlich zu machen: „(…) in jedem Falle scheint mit der vorgeschlagenen Konzeption von ‚Materialisierung‘ der Boden philosophischer Argumentation verlassen 11. Einige Philosoph:innen halten trotzdem daran fest, dass Naturgegebenheiten wie die biologischen Geschlechter durch regulierende Normen mitbestimmt werden.
Ist es sinnvoll, von vielen Geschlechtern zu sprechen?
In der Debatte um eine angemessene Berücksichtigung der Queer-Community wird der Begriff „Geschlecht“ oft in der Mehrzahl verwendet. J. Derrida sagte zu diesem Thema: „Opposition ist two, opposition is man/woman. Difference, on the other hand, can be an indefinite number of sexes.“12 Wir dürfen vermuten, dass es den Theoretiker:innen darum geht, Machtverhältnisse zu entlarven und Herrschaft zu überwinden. Diese Intention stimmt mit dem überein, was viele Feministinnen anstreben, aber der vorgeschlagene Weg überzeugt nicht. Denn: Die Benennung von Frau und Mann (als die beiden biologischen Geschlechter) ist nicht per se schon Herrschaftsrede! Das Wortpaar ist
, wenn wir es von den biologischen Gegebenheiten her betrachten, kein hierarchisch konstruiertes Oppositionspaar. Dass Gesellschaften weltweit und kulturübergreifend zwischen Männern und Frauen unterscheiden und in diesem Sinne binäre Systeme darstellen, heisst nicht, dass alle diese Gesellschaften von Herrschaft durchdrungen sein müssen. In allen menschlichen Kulturen spielt die Fortpflanzung naheliegenderweise eine zentrale Rolle. Und weil nur Frauen gebären können, muss dies in der Rechtsordnung berücksichtigt werden. Hätten die Wörter „Mann“ und „Frau“ eine ihnen innewohnende Hierarchie und patriarchalische Wertung, müssten sämtliche Völker der Erde, die diese Begriffe brauchen, patriarchalisch organisiert sein. Ein Blick in die Geschichte und in die Ethnologie zeigt jedoch etwas anderes: Zu allen Zeiten gab es menschliche Gemeinschaften, die nicht patriarchal und trotzdem binär organisiert waren.13
So ist auch diesbezüglich Herta Nagl-Docekals Kritik an fehlender Differenzierung in solchen Diskursen zuzustimmen: „Demnach wäre das Begriffspaar sex/gender ein geeignetes Instrument, um herauszuarbeiten, dass gesellschaftliche Normen von leiblichen Bedingungen zu unterscheiden sind (…). Wenn ich auf dieser Differenzierung beharre, so geschieht dies im Hinblick auf markante Theoriedefizite der gegenwärtigen Debatte. Da es heute in den Augen vieler zum guten feministischen Ton gehört, auf Differenzierungen wie die hier vorgeschlagenen zu verzichten, ist ein Changieren zwischen zwei Formen von Reduktionismus gang und gäbe: Körper und Diskurs werden abwechselnd in den Rang monokausaler Erklärungsinstanzen erhoben.“14
Technisierung, Ökonomisierung und Veränderung der Leiberfahrung
Die feministische Philosophie bewegt sich nicht im luftleeren Raum, sondern schliesst, wie dies in jeder Disziplin der Fall ist, an frühere Denktraditionen an. Bei den Theoretikerinnen der Dekonstruktion ist ein grosser Einfluss von männlichen Philosophen festzustellen, die den „Geist“ oder „das Denken“ höher bewerteten als „den Leib“ oder „die Natur“. Wie Simone de Beauvoir strebten auch Judith Butler und Donna Haraway eine Befreiung von Beschränkungen durch die Natur und damit eine Befreiung vom Leib an. Simone de Beauvoir hielt das Kinderkriegen für etwas, das die Frau knechte und sie von ihrer Befreiung oder ihrem Weg in Richtung Transzendenz abhalte. Indem Beauvoir den (männlichen) Geist als überlegen ansah sowie Körperlichkeit und Immanenz abwertete, war sie schliesslich (trotz ihrer enormen Verdienste zugunsten der feministischen Theorie und Praxis) keine Hilfe im Aufbau einer nicht androzentrischen Philosophie. Ebensowenig bietet Donna Haraway eine feministische Perspektive, sie verliert sich in Lobeshymnen auf technische Möglichkeiten und verwischt die Unterscheidung zwischen Natur und Kultur in unzulässiger Weise15. Die Innovationen auf dem Gebiet der Technik und Informatik haben jedoch in der Tat einen enormen Einfluss auf das Leben und Denken der heutigen Menschen, da fast alles machbar ist, von der Befruchtung einer menschlichen Eizelle im Reagenzglas über den Embryotransfer bis zum Reparieren von Gendefekten im menschlichen Körper. Die Inanspruchnahme von Reproduktionstechnik hat extrem zugenommen, gerade auch bei homosexuellen Frauen- und Männerpaaren. Viele sozialkritische Leute reden sich ein, es sei nichts dabei, einen anonymen Samenspender oder eine Eizellspenderin im Ausland zu suchen und ein Kind durch eine Leihmutter austragen zu lassen. Wenn der Schweizerische Gesetzgeber darauf hinweist, dass Kinder aus Leihmutterschaften eigentlich nicht ohne Weiteres adoptiert werden dürften, weil das Fortpflanzungsmedizingesetz von 1992 dies verbietet, heisst es schnell, die Reproduktionsrechte der Eltern würden verletzt. Was die internationale Frauenbewegung einst an der Gen- und Reproduktionstechnik kritisierte, war einerseits die absehbare Ausbeutung von Frauen in ärmeren Ländern; andererseits machte auch der erwartbare Mentalitätswandel Sorgen, der auf eine Abkoppelung der Mutterschaft vom Frauenkörper hinausläuft, Frauen einer „männlichen“ Technokratie ausliefert und generell eine Abwertung des menschlichen Leibes beinhaltet. Gleichzeitig mit dieser schleichenden Entfremdung vom eigenen Leib hielt ein Schönheitskult und Leistungswahn Einzug, der es Frauen schwermacht, sich selbst positiv wahrzunehmen und ein Vertrauen in ihre leiblichen Fähigkeiten aufzubauen. Die Philosophin Ute Gahlings schreibt über die Pathologisierung des Frauenkörpers sowie die Schwierigkeiten zeitgenössischer Frauen, sich im eigenen Leib wohl zu fühlen, ja, sich überhaupt zu finden: „Die Investition von Schmerz einerseits, z.B. bei Schönheitsoperationen, und die Ausblendung bestimmter weiblicher Schmerzen andererseits, z.B. bei gewünschtem Kaiserschnitt, sind alarmierende Signale dafür, dass der weibliche Körper-Kult von einer eklatanten Distanz zum Leibsein kündet. Diskursiv erzeugte, freiwillige Schmerzen werden akzeptiert, eigenleibliche dagegen nicht, weil sie unverfügbar erscheinen, nicht dem Willen unterworfen sind.“16 Die Vermutung sei gestattet, dass die technisch-medizinischen Möglichkeiten diesbezüglich weniger der besseren Versorgung von Menschen gedient haben, sondern eher zum Ausbau einer Konsummentalität und einer Flucht vor der Wirklichkeit geführt haben. In Gahlings Worten wäre von einem Verlust der Leiberfahrung zu sprechen, im Sinne einer Spaltung der eigenen Wahrnehmung in das seelische Ich und den zum Objekt gemachten Körper. Mit diesem, von ökonomischen und technischen Innovationen gesteuerten Wandel, verändert sich auch die Wahrnehmung betreffend Grenzüberschreitungen. Schönheitsoperationen und Transplantationen werden gewissermassen zur Routine. Noch vor kurzem wurden Hormonbehandlungen stark in Frage gestellt und eine Geschlechtsumwandlung als schwerwiegender Eingriff in einen unversehrten Körper betrachtet. Heute gehen jedoch viele Menschen davon aus, das seien medizinische Leistungen wie andere auch. Parallel zu einer Entleiblichung der Philosophie verstummte auch die Kritik an der technischen Zurichtung von menschlichen Körpern. Wenn wir heute beobachten, dass es Differenzen unter Feministinnen gibt, dann hat dies auch einiges mit dem Überhandnehmen von technischen Lösungsangeboten bei menschlichen Grundfragen zu tun. Nicht unterschätzt werden sollte, dass Pharma- und Medizinbranche durchaus ein Interesse daran haben, ihre angeblichen Problemlösungen zu verkaufen.
Es wäre möglich gewesen, innerhalb der Frauenbewegung andere, humanere Utopien zu entwickeln. Es lagen seit der Neuen Frauenbewegung sowohl Analysen des natur- und körperfeindlichen Denkens in patriarchalen Gesellschaften vor als auch Ansätze einer nicht-androzentrischen Wissenschaft und Philosophie, verbunden mit Vorschlägen für eine gerechtere Gesellschafts- und Wirtschaftsordnung. Diese Ansätze, zum Beispiel von Veronika Bennholdt-Thomsen17, Barbara Duden18oder Carola Meier-Seethaler,19 wurden von den Genderwissenschaftler:innen nicht rezipiert, geschweige denn weitergeführt (vgl. Teil 1, 2.12.2021 theoriekritik.ch).
Geschlechtsidentität und biologisches Geschlecht
In einigen Ländern, so auch in der Schweiz, ist es möglich, sein Geschlecht entsprechend seiner Selbstidentifikation amtlich eintragen zu lassen. Die Zahl der Geschlechtswechsel und der Operationen im Zusammenhang mit einer Geschlechtsumwandlung haben seit 2016 und besonders auch seit Inkrafttreten des Gesetzes zum Personenstand (2022) deutlich zugenommen. Die stärkste Zunahme ist bei Umwandlungen von Frau zu Mann zu beobachten.20
Angesichts dieser zunehmenden Praxis von schwerwiegenden Eingriffen ist zu fragen, was man eigentlich weiss über mögliche Ursachen von Transidentität bzw. Geschlechtsdysphorie?
Die Grundlagen zur Ausbildung der Geschlechtsidentität werden bei menschlichen Föten gelegt. Geschlechtshormone steuern die Entwicklung der Geschlechtsorgane im Fötus und gleichzeitig beeinflussen sie die Entwicklung bestimmter Hirnregionen geschlechtsspezifisch. Normalerweise zeitlich miteinander gekoppelte Prozesse können, so postulieren Neurobiolog:innen, in seltenen Fällen entkoppelt werden21. Wenn diese Hypothese zutrifft, hätte man eine Erklärung dafür, dass es Menschen gibt, die sich bereits im Alter von 3 Jahren (wo kulturelle Einflüsse noch schwächer wirken als später) als „im falschen Geschlecht geboren“ empfinden. Interessant ist die Frage, ob dieses Phänomen auch bei unseren nächsten Verwandten vorkommt, denn bei diesen könnte man wohl kulturelle Faktoren ausschliessen. Frans de Waal beschreibt einen Fall einer transidenten Schimpansin.22 Glücklicherweise wurde diese Menschenaffenfrau sowohl von ihren weiblichen als auch ihren männlichen Artgenossen voll und ganz akzeptiert. Allerdings zeigte die Schimpansin kein Interesse an Sexualität, keine für Weibchen im Östrus typische Schwellung und sie wurde auch nie Mutter. Wir wissen nicht, ob diese Form der Transidentität, wie sie bei der Schimpansin beobachtet wurde, dieselbe ist wie bei transidenten Kindern. Aber es liegt nahe, eine solche Transidentität als angeboren und in keiner Weise als selber gewählt anzuschauen. Dass beim Menschen alles sehr viel komplizierter ist als bei anderen Primaten, liegt daran, dass bei uns Geschlechterrollen kulturell mitbedingt sind und deshalb transidente Menschen grossem Anpassungsdruck ausgesetzt sein können. Hat die Geschlechtsidentitätsinkongruenz in der Kindheit vermutlich nichts oder wenig mit Erziehung zu tun, ist es sehr unwahrscheinlich, dass es sich bei Jugendlichen und Erwachsenen, die sich „im falschen Geschlecht“ wähnen oder sich als non-binär empfinden, um ein von allen kulturellen Einflüssen unabhängiges Phänomen handelt. Bei Kathleen Stock23 finden wir eine ausführliche Darstellung der Geschichte des Konzepts „Selfidentification“. Aber es gibt auch Fachleute24, die vor diesem Konzept warnen und daher mitunter als „transfeindlich“ bezeichnet werden. Ein Teil des medizinischen Fachpersonals meldet ebenfalls Widerspruch an gegen ein rein affirmatives Konzept. Mit affirmativ ist gemeint, dass man fast alles bedingungslos unterstützt, was die Betroffenen wünschen, sei dies eine Behandlung mit Pubertätsblockern, eine Hormonbehandlung oder einen rechtlichen Geschlechtswechsel.
Was heisst das für die Praxis?
Das Beharren darauf, dass das biologische Geschlecht wichtig ist, bedeutet nun nicht, wie hoffentlich deutlich geworden ist, dass die Forderungen der Queer-Community einfach zurückgewiesen werden. Aber es zeigen sich klare Meinungsverschiedenheiten zwischen Feministinnen und LGBTI-Community bezüglich der theoretischen Einordnung der Phänomene25 und des Weges, wie die Ziele erreicht werden können. Im Folgenden werden einige Praxisfelder angesprochen, in denen die „Geschlechterfrage“ eine wichtige Rolle spielt.
Sport
Weil das männliche Hormon Testosteron zu deutlichen Leistungssteigerungen führt, war es seit jeher so, dass Wettkämpfe stets nach biologischem Geschlecht getrennt organisiert wurden. Auch wenn Frauen heute viel besser gefördert und trainiert werden als noch in den 1970er Jahren, bleibt es dabei: Männer sind aufgrund ihres höheren Levels an Testosteron leistungsfähiger, vor allem auf dem Gebiet der Leichtathletik. Gerade bei diesen Sportarten gab es schon immer verhältnismässig viele intergeschlechtliche Menschen. Bei internationalen Wettkämpfen siegte nicht selten eine Frau, die gar nicht wusste, dass sie intergeschlechtlich war. Das wohl bekannteste Beispiel ist die mehrfache Olympiasiegerin über 800m, Caster Semenya.26 Schaute man bis vor kurzem bloss auf mögliche Dopingsubstanzen bei Sportler:innen, ist es nun auch üblich geworden, in gewissen Fällen den Chromosomensatz und den natürlichen Testosteronspiegel zu untersuchen.
Im März 2023 fällte der Leichtathletik-Weltverband einen Entscheid, der für Aufsehen sorgte:
Intergeschlechtliche Frauen dürfen zwei Jahre vor einem Wettkampf nicht mehr als 2,5 Nanomol Testosteron im Blut haben und Transfrauen sind neu ganz von Frauenwettbewerben ausgeschlossen.27
Diesem Entscheid gingen viele Jahre intensiver Diskussionen voraus. Als zu wenig informiert über die komplexe Vorgeschichte rund um die Mittelstreckenläuferin Caster Semenya, enthalte ich mich hier einer Stellungnahme. Aus ethischer Sicht scheint mir aber klar: Erstens müssen alle Personen, die an Wettkämpfen teilnehmen möchten, frühzeitig über die Teilnahmebedingungen informiert werden. Es geht nicht an, dass eine Person sich intensiv vorbereitet und dann von der Teilnahme ausgeschlossen wird. Zweitens müssen die Bedingungen so sein, dass es für eine weibliche XX-Sportlerin möglich ist, zu gewinnen. Ob es eine spezielle Kategorie für Frauen mit natürlicherweise höherem Testosteronspiegel geben soll, ist eine interessante Frage. Die Zukunft wird zeigen, in welche Richtung sich die Sportwelt bewegen wird. Wir können aus diesem Praxisfeld jedoch lernen, dass die körperliche Ausstattung und damit das biologische Geschlecht zentral sind.
Bildung und Aufklärung
Erziehung, Bildung und Aufklärung sind ein weites Feld. Ich möchte hier nur einen Aspekt herausgreifen, nämlich die Tendenz, privaten Organisationen in der Schule eine inhaltliche Mitsprache einzuräumen. Wenn im Rahmen von regulärem Unterricht auswärtige Fachpersonen oder Betroffene eingeladen werden, ist dies natürlich bereichernd für die Schüler:innen. Falls bei einem Thema die Schulbehörden jedoch den Aufwand zur Herstellung eigener Schulmaterialien scheuen, kann es problematisch werden. Die Lehrmittel, die ich bisher zu Gesicht bekam, sind von Interessensgruppen wie dem Transgendernetwork verfasst und können nicht als neutral gelten. Schulverlage und Schulen müssen bei allen Themen, auch beim Thema „queer“, Verantwortung übernehmen und eigenes Lehrmaterial produzieren.
Wie bei den Versuchen von evangelikalen Kreisen, die Kreationismus und Schöpfungslehre in den Schulbüchern unterbringen wollten28, gilt es auch gegenüber transaktivistischen Kreisen, die die Biologiebücher umschreiben wollen, wachsam zu sein.
Juristische Ebene
Es sind Bestrebungen im Gang, der LGBT-Community zu juristischer Anerkennung zu verhelfen. Erstaunlich dabei ist, dass die Unterstützung der Intergeschlechtlichen, in der ganzen Debatte untergeht. Meines Erachtens hätte man längst brauchbare Vorschläge für die Revision der Vorschriften betreffend Geburtsregister machen müssen.
Sandra Hotz geht in ihrem Fachartikel29 zum Beispiel nicht auf Intergeschlechtliche ein, sondern diskutiert nur die Veränderung der Gleichstellungsgesetzgebung in der Schweiz. Sie ist dafür, den inklusiven Geschlechterbegriff zu implementieren oder die Nennung der Geschlechter abzuschaffen. Ihre Argumente überzeugen jedoch nicht: So äussert Hotz die haltlose Vermutung, dass das jetzige Gleichstellungsgesetz dazu beitrage, „das Geschlecht“ festzuschreiben im Sinne von „Geschlechtssterotypen festigen“. Sie kritisiert auch, dass homosexuelle Männer nicht wegen ihres Geschlechts nach dem Gleichstellungsgesetz klagen können. Hotz scheint nicht zu interessieren, dass das Geschlecht und die sexuelle Orientierung unterschiedliche Dinge sind.
Meines Erachtens müsste man ein allgemeines Anti-Diskriminierungsgesetz anstreben und darin ausdrücklich das Verbot der Diskriminierung wegen sexueller Orientierung, des Geschlechtsausdrucks und der Geschlechtsidentität nennen. Eine fundierte Kritik an den Vorschlägen von Hotz sowie konstruktive Vorschläge für eine Anti-Diskriminierungsgesetzgebung kann man nachlesen in einem 2023 erschienenen Fachartikel der Anwältin Susanne Bertschi.30
Yogyakarta-Prinzipien
Für die Ausgestaltung von Gesetzen zum Schutz der LGBTI-Rechte berufen sich Fachleute auf die Yogyakarta-Prinzipien31. Diese internationalen Richtlinien wurden geschrieben, um Staaten zu beraten; es handelt sich jedoch nicht um einen verbindlichen Völkerrechtsvertrag, sondern um Empfehlungen. Angesichts der Tatsache, dass in zahlreichen Ländern Homosexualität unter Strafe steht, dass Pakistan bis vor kurzem Transmenschen keine politischen Rechte einräumte, aber auch Frauenrechte vielerorts krass missachtet werden, ist es dringend, dass sich international auch auf der juristischen Ebene etwas tut. Diese Intention ist unbestritten. In den Yogyakarta-Prinzipien werden jedoch Formulierungen gebraucht, die missverstanden werden könnten. Ist von einer Anerkennung von Inter- oder Transpersonen die Rede, heisst dies nicht, dass man diese als eigenes biologisches Geschlecht anerkennen muss. Die betroffenen Menschen müssen in ihrer Eigenart anerkannt werden und haben den Anspruch auf entsprechende amtliche Dokumente. Dass dies nur realisierbar sei, in dem man das Konzept der „Selbstidentifikation“ einführt, ist meines Erachtens eine falsche Schlussfolgerung. Eine Änderung des Geschlechtseintrags nach einer angemessenen Prüfung verschiedener Faktoren wäre kompatibel mit den Yogyakarta-Prinzipien. Ebenso wäre es denkbar, neben dem Eintrag des biologischen Geschlechts eine Rubrik „Anrede“ einzuführen. Dort könnte bei Transfrauen „Frau“ stehen, bei Transmännern „Herr“. Oder die Rubrik könnte freigelassen werden. Den Eintrag „inter“ oder „divers“ einzuführen wäre auch kompatibel mit den Yogyakarta-Prinzipien. Die Schweiz könnte also ohne weiteres die Yogyakarta-Prinzipien berücksichtigen, ohne auf einseitige Vorschläge von Transaktivist:innen einzugehen.
Ich erinnere daran, dass die Schweiz das internationale, verbindliche CEDAW-Übereinkommen zur Beseitigung jeglicher Diskriminierung der Frau32 unterzeichnet hat und somit zu dessen Umsetzung verpflichtet ist. Dieses internationale Abkommen führt klar vor Augen, dass eine Aufhebung der Frauendiskriminierung nur möglich ist, wenn die Frauen eine soziale Kategorie bleiben. Auch dies ist ein Argument dafür, keinen Umbau des Gleichstellungsgesetzes vorzunehmen. Die Forderung von non-binären Menschen und vielen Vertreter:innen der LGBTI-Community, in Zukunft solle die Gesellschaft auf den Geschlechtereintrag ganz verzichten, ist offensichtlich kontraproduktiv: Wie soll man Diskriminierungen und Ungleichbehandlungen dann systematisch erfassen? Der Traum der Non-binären, eine Gesellschaft, bei der jede Frau und jeder Mann gemäss ihren Fähigkeiten und Vorlieben das eigene Leben gestalten darf, wird nicht dadurch verwirklicht, dass man den Geschlechtseintrag abschafft. Um nur ein Beispiel zu nennen: Empirische Studien machten deutlich, dass Frauen in erster Linie im Zusammenhang mit Schwangerschaft und Mutterschaft systematische Benachteiligungen erfahren. Dies ist ein klarer Hinweis darauf, dass die Architektur der bisherigen Gesetzgebung beibehalten werden sollte.
Anmerkungen
- Ich engagiere mich beihttps://justitia-ruft.ch/ , einer Vereinigung von erfahrenen Feministinnen, die sich gegen ein geplantes Kantonales Gleichstellungsgesetz wenden, bei dem Frauen zur Marginalie werden.
Im Laufe einer öffentlichen Veranstaltung von habs queer Basel wurde ich diffamiert, weil ich der sozialwissenschaftlichen Sicht auf Geschlecht widersprach und das biologische Geschlecht als Resultat der Evolution bezeichnete, vgl. Radio und Fernsehen SRF vom 19.4. 2023,
2. Gendertheoretiker:innen sprechen vom „inklusiven Geschlechterbegriff“ und zählen Frau, Mann, Intergeschlechtliche, Transpersonen, Non-binäre, Genderfluide, Agender und andere Kategorien auf. Solche Aufzählungen erfolgen meist im Verbund mit der Aussage, es gebe mehr als zwei Geschlechter.
Zur Kritik gab in Basel-Stadt Anlass, dass der Begriff Frau, zentral beim bisherigen Basler Einführungsgesetz zur Gleichstellung von Frau und Mann, bei der neuen Definition nicht mehr genannt wird. Laut Vorschlag der Regierung von Basel-Stadt heisst es dort:
§ 2 Begriffe
Der Begriff Geschlecht umfasst nach diesem Gesetz die Geschlechtsmerkmale, die Geschlechtsidentität, den Geschlechtsausdruck und das soziale Geschlecht:
Geschlechtsmerkmale sind die physischen Eigenschaften eines Menschen bezüglich des Geschlechts, einschliesslich Genitalien und anderer Teile der geschlechtlichen und reproduktiven Anatomie, Chromosomen, Hormone sowie sekundäre körperliche Merkmale.
Geschlechtsidentität ist das individuelle Bewusstsein der Zugehörigkeit zu einem Geschlecht, die mit dem bei der Geburt zugeschriebenen Geschlecht übereinstimmen kann, aber nicht muss; dies schliesst die Wahrnehmung des eigenen Körpers mit ein, darunter auch die freiwillige Veränderung von Geschlechtsmerkmalen durch medizinische, chirurgische oder andere Eingriffe.
Geschlechtsausdruck bezeichnet die Darstellung der Geschlechtlichkeit eines Menschen im physischen Erscheinungsbild sowie mittels Eigenarten, Sprechweise, Verhaltensmuster, Namen und Anrede und kann mit der geschlechtlichen Identität eines Menschen übereinstimmen oder nicht.
Soziales Geschlecht umfasst die gesellschaftlichen und kulturellen Zuschreibungen von Geschlecht.
Sexuelle Orientierung umschreibt, zu wem sich eine Person romantisch oder sexuell hingezogen fühlt.
Eine Diskriminierung ist die ungerechtfertigte Benachteiligung oder Ungleichbehandlung von einzelnen Menschen oder Gruppen aufgrund des Geschlechts oder der sexuellen Orientierung und kann in direkter, indirekter oder intersektionaler Form vorliegen.
3. Vera Regitz-Zagrosek im Interview mit Ayse Turcan, WoZ, 10.06.2021
Die Kardiologin Vera Regitz-Zagrosek erhielt am 30.04.2022 die Ehrendoktorwürde der Universität Zürich für ihre Pionierarbeit in Sachen Gendermedizin https://www.uzh.ch/cmsssl/de/about/portrait/awards/hc/2022/med.html
4. Nach Angaben der Sendung Einstein vom 16.02.2023 kommt auf 2500 Babies 1 Neugeborenes mit uneindeutigem Geschlecht zur Welt. In der Schweiz seien dies 40 Babies pro Jahr. https://www.srf.ch/play/tv/einstein/video/koerperlich-weder-mann-noch-frau?urn=urn:srf:video:896a0c9e-b5ca-48e2-9247-163ed0284c37 27.3.2023
5. Die Vereinigung interAction (Intergeschlechtliche Menschen Schweiz) fordert ein Verbot von „nicht verhältnismässigen medizinischen Eingriffen an intergeschlechtlichen Kindern“. Vgl. Website https://www.inter-action-suisse.ch/de/aktuelles/strafrechtliches-verbot, 27.3.2023
6. vgl. Caroline Criado-Perez: Unsichtbare Frauen. Wie eine von Daten beherrschte Welt die Hälfte der Bevölkerung ignoriert, 2020. Und: Elinor Cleghorn: Die kranke Frau. Wie Sexismus, Mythen & Fehldiagnosen die Medizin bis heute beeinflussen, 2022
7. Der Primatenforscher de Waal testete bei Schimpansen und Bonobos, ob eine Verkleidung bewirken konnte, dass Männer als Frauen eingeschätzt wurden oder umgekehrt. Dies war nicht der Fall. Stets erkannten die Primaten das biologische Geschlecht anhand der Bewegungen, vgl. Frans de Waal, Der Unterschied, Was wir von Primaten über Gender lernen können, 2022.
8. Kathleen Stock legt dieses Argument ausführlich dar im Buch Material Girls. Warum die Wirklichkeit für den Feminismus unerlässlich ist, 2022.
9. Judith Butler, Das Unbehagen der Geschlechter, 1991 und: Körper von Gewicht, 1995
10. John Money, der Sexualforscher, der einem Jungen, dessen Penis bei der Beschneidung irreversibel verletzt worden war, ein neues Leben als Mädchen ermöglichen wollte, scheiterte. Money war wirklich davon überzeugt gewesen, dass das soziale Geschlecht das biologische überspielen könne. Moneys Theorie und das Schicksal des Jungen sind vielerorts geschildert worden, vgl. z.B. Frans de Waal: Der Unterschied. Was wir von Primaten über Gender lernen können, 2022, S. 56ff.
11. Herta Nagl-Docekal, Feministische Philosophie. Ergebnisse, Probleme, Perspektiven, 2001. Zitiert nach dem unveränderten Nachdruck von 2016, S. 54.
12. Jaques Derrida, zitiert nach Iris M. Young, Justice and the Politics of Difference, 1990
13. Vgl. z.B. die Erkenntnisse der Ethnologin Susanne Schröter in: FeMale, Über Grenzverläufe zwischen den Geschlechtern, 2002
14. Herta Nagl-Docekal, Feministische Philosophie. Ergebnisse, Probleme, Perspektiven, 2016 (Reprint), S. 67.
15. Donna Haraway wird oft als wichtige feministische Naturwissenschaftlerin vorgestellt. Sie gilt als Begründerin des Cyberfeminismus, einer Strömung, die meines Erachtens esoterisch ist und nichts mehr mit feministischer Wissenschaft zu tun hat. Frans de Waal hat ihr 1989 erschienenes Buch ‘Primate Visions’ treffend analysiert (vgl. Frans de Waal: Der Unterschied, S. 134ff).
16. Ute Gahlings: Selbstkultivierung in den Geschlechterverhältnissen, in: 3. Jahrbuch für Lebensphilosophie, Albuneaverlag, 2007. Das grundlegende Werk heisst: Ute Gahlings: Phänomenologie der weiblichen Lebenserfahrungen, 2016
17.Veronika Bennholdt-Thomsen analysiert alle Zusammenhänge zwischen Abwertung von Frauen, bäuerlicher Wirtschaft und Care-Arbeit. Sie vertritt mit dem Subsistenz-Ansatz eine lebensfreundliche, praxisnahe Philosophie.
18. Barbara Duden publizierte zur Wahrnehmung der Leiblichkeit, insbesondere zur Frauen- und Medizingeschichte. Bemerkenswert ist ihr Aufsatz: Die Frau ohne Unterleib: Zu Judith Butlers Entkörperung, Feministische Studien, 1993
19. Carola Meier-Seethaler hat das Patriarchat auf allen Ebenen entlarvt: in Philosophie, Psychologie, Ethnologie, Geschichte, Religionswissenschaften, Symbolforschung, Wirtschaftstheorie und Naturwissenschaften. Ihr letztes Buch trägt den Titel: Macht und Moral, 16 Essays zur Aufkündigung patriarchaler Denkmuster, 2007.
20. Sabine Kuster: Viel mehr Geschlechtsanpassungen – auch bei Minderjährigen, Basler Zeitung, 21.3.2023
21. Frans de Waal: Der Unterschied. Was wir von Primaten über Gender lernen können, 2022, S. 83
22. Frans de Waal: Der Unterschied. Was wir von Primaten über Gender lernen können, 2022, S. 72ff.
23. Kathleen Stock: Material Girls, 2021
24. Alice Schwarzer, Chantal Louis : Transsexualität, 2022, S. 126,127.
25. Kim de l’Horizon schrieb in seinem Offenen Brief an Bundesrat Maurer («Lieber John Unbekannt, lieber Ueli Maurer, ihr habt mich geschlagen. Aber ich vergebe euch», in NZZ, 19.10.2022), er werde wegen seines Körpers angegriffen. Das ist nicht richtig. Gewalt ist indiskutabel, auch Anfeindungen anderer Art sind es, aber es handelt sich nicht um eine Diskriminierung wegen Kims Körper! Es sind intolerante Reaktionen auf Kims Lebensweise, sein Verhalten, seine Äusserungen oder seine Identität.
26. Die südafrikanische Läuferin Semenya wuchs als Mädchen auf, hatte keine sichtbaren männlichen Geschlechtsorgane und wusste bis zu ihrem ersten Olympiasieg nichts über ihre Intergeschlechtlichkeit. Ihr Chromosomensatz ist 46, XY und ihr Testosteronspiegel etwa so hoch wie derjenige von Männern. https://de.wikipedia.org/wiki/Caster_Semenya 5.4.2023. Die medizinische Diagnose dieser Form der Intergeschlechtlichkeit oder DSD heisst 5α-Reduktase-2-Mangel und geht auf eine Genmutation zurück.
27. Im März 2023 entschied der Leichtathletik-Weltverband, dass Transfrauen (das heisst Transgender-Personen, die eine männliche Pubertät durchlaufen haben) nicht mehr an Frauenwettkämpfen teilnehmen dürfen. Athletinnen mit DSD müssen neu den Testosteronspiegel auf unter 2,5 Nanomol senken. 24.3.2023 https://www.sportschau.de/leichtathletik/transgender-leichtathletik-weltverband-startverbot-100.html
28. Im Jahr 2007 liess der Bernische Schulbuchverlag ein neues Lehrmittel erstellen. Eine evangelikale Mitarbeiterin der AG, die das Lehrmittel konzipierte, drückte ihre Ideologie durch. Der Kanton reagierte erst, als ein Mitglied des Autorenteams Alarm schlug und Fachleute forderten, das Lehrmittel sei zurückzuziehen. DER BUND, 20.12.2007
29. Dr. Sandra Hotz: Auf dem Weg zur Gleichstellung der Geschlechter? Schweiz. Juristen-Zeitung, 1.1. 2020
30. Susanne Bertschi: Gleichstellungsrecht in Bewegung, AJZ Aktuelle Juristische Praxis, 3/2023
31. http://yogyakartaprinciples.org/wp-content/uploads/2016/10/German_Translation.pdf
32. CEDAW, https://www.fedlex.admin.ch/eli/cc/1999/239/de 5.4.2023