Am kommenden Dienstag, den 9. Februar wird die Bewegung «DiEM25» (Democracy in Europe – Movement 2025) in der Volksbühne Berlin am Rosa-Luxemburg-Platz gegründet. Die Website ist eingerichtet (http://diem25.org), das Manifest ist beim Schreiben dieses Blogs (5. Februar) erst auf Englisch aufgeschaltet, auch bei Mediapart nachlesbar: https://blogs.mediapart.fr/edition/les-invites-de-mediapart/article/040216/yanis-varoufakis-manifesto-democratising-europe. Weitere Übersetzungen werden hoffentlich bald auf der offiziellen Website erscheinen.
Die Grundideen, die hinter der DiEM25-Initiative stehen, sind in einem Blog von Yanis Varoufakis von Ende Januar nachzulesen (http://yanisvaroufakis.eu/2016/01/31/diem25-is-in-the-air-a-preliminary-qa/). Hier die wichtigste Passage (ins Deutsche übersetzt):
«Tatsächlich hat uns das Jahr 2015 eine wichtige Lektion erteilt: Keine Lösung ernsthafter Fragen, keine wirksame Bekämpfung der Krise kann den Nationalstaaten entspringen oder Organisationen, die sich nur an die Bürgerschaft eines einzelnen Staates richten. Entweder entwickeln wir erfolgreich einen paneuropäischen Aktionsplan, der auf einem Dialog über die Grenzen hinweg basiert, oder die EU wird auseinanderfallen. Ja, es stimmt: Föderalistische Projekte sind bislang gescheitert. Aber das waren Versuche von Eliten, von oben nach unten gedacht und von Thinktanks ausgeheckt, die chancenlos waren, jene Menschen zu erreichen, die um ihren Lebensunterhalt kämpfen, und ihnen zu erlauben, die Kontrolle über ihr eigenes Leben wiederzugewinnen.
DiEM will eine Bewegung von unten aufbauen, basierend auf der Einsicht, die 2015 Millionen von EuropäerInnen gewannen, dass kein einzelnes Land gedeihen kann, wenn andere Teile Europas zu einer ständigen Rezession und ewiger Krise verdammt sind; dass kein Land frei sein kann, während einem anderen europäischen Volk die grundlegendsten demokratischen Rechte verwehrt werden; dass gemeinsame Probleme gemeinsame Lösungen verlangen. Die Stärke von DiEM wird in dieser Einsicht von Millionen EuropäerInnen bestehen, dass sie eine Pflicht haben, das schreckliche Dilemma zwischen der gegenwärtigen von Brüssel dominierten demokratiefreien Zone und dem Zerfall Europas zu überwinden.»
Die Zahl 25 in der Abkürzung steht für das Jahr 2025. Wenn es bis dann nicht gelingt, eine Demokratisierung der EU-Institutionen zu erreichen, dann wird wohl die EU völlig fragmentiert sein, und es wird nichts mehr zu demokratisieren geben.
Ein sehr aufschlussreiches und detailliertes Interview mit Varoufakis und zu seinen Einschätzungen zur EU findet sich in der Londoner Zeitschrift «Red Pepper»: http://www.redpepper.org.uk/yanis-varoufakis-we-need-a-new-movement-for-democracy-in-europe/. Es ist mit Abstand das informativste und politisch substantiellste Interview mit Varoufakis, das ich kenne. Varoufakis sagt, er habe schon immer gewusst, dass die EU als eine Nicht-Demokratie entworfen wurde, aber trotzdem sei er überrascht gewesen, mit welcher Dreistigkeit ihm an der ersten Sitzung der Eurozone klar gemacht wurde, dass die demokratischen Wahlen in Griechenland für den Verhandlungsprozess bedeutungslos seien. Das zweite, das ihn überrascht hat, war die – wie er es in Anlehnung an Hannah Arendt nennt – Banalität der Bürokratie, sowie deren zweitklassige technisch-ökonomische Kompetenz. Die Europäische Wirtschafts- und Währungsunion sei zu einem Monster ohne jegliche demokratische Kontrolle geworden. Varoufakis beschreibt nochmals, wie schwierig es wäre, den Euro abzuschaffen oder wenn Griechenland aus dem Euro austreten möchte. Er sieht die am wenigsten katastrophale Option für die Zukunft des Euros in der Demokratisierung der entsprechenden Strukturen und in der Veränderung seiner Architektur. Dem Demokratisierungsprojekt räumt er nur kleine Chancen ein, aber, so sagt er, die Alternative des Scheiterns wäre schlimm. Im Übrigen beharrt er darauf, dass sich viele alte Fragen (z.B. zur staatlichen Souveränität und zur Rolle der Zentralbanken, der Staatsfinanzen etc., MM) im europäischen Zusammenhang neu stellen. Varoufakis schlägt ein Vorgehen in verschiedenen Phasen vor (auch im Manifest enthalten):
- Kurzfristig/sofort: Die EU-Institutionen (EU-Rat, Ecofin, Eurogruppe) müssen ihre Sitzungen live übertragen, die Protokolle der Europäischen Zentralbank so wie auch beispielsweise die Verhandlungsdokumente des TTIP müssen veröffentlicht werden.
- Mittelfristig/in zwölf Monaten: Die bestehenden Institutionen sollen – im Rahmen der bestehenden schlechten EU-Verträge – so reorganisiert und neu beauftragt werden, dass die dringendsten Probleme der Krise (Schulden, fehlende Investitionen, wachsende Armut, Bankenkrise) angegangen und die Situation stabilisiert werden kann.
- Längerfristig/in zwei Jahren: Einberufung einer demokratisch gewählten verfassungsgebenden Versammlung. Es soll auf demokratischem Weg eine EU-Verfassung beschlossen werden, welche die bisherigen Verträge ersetzen kann.
- Bis 2025: Implementierung der Verfassungsbeschlüsse.
In einer Antwort auf einen offenen Brief des deutschen Aktivisten John Malamatinas beschreibt Varoufakis nochmals die Absichten seiner Initiativen und formuliert vier Fragen, die geklärt werden müssen:
- Welche Art von Organisation soll diese Bewegung sein?
- Kann der Euro gerettet werden, und ist die Währungseinheit vereinbar mit einer gemeinsamen Wohlfahrt in Europa?
- Können die bestehenden Institutionen reformiert werden (auch aus theoretischer Sicht), oder müssen wir nach neuen Ausschau halten?
- Welche Formen politischer Aktionen sind am besten geeignet, um die Demokratisierung voranzutreiben?
Das sind, so Varoufakis, immer wieder gestellte grosse Fragen, die sich nicht ändern. Aber die heute interessanten Antworten darauf haben sich geändert (http://yanisvaroufakis.eu/2016/01/17/diem-and-the-movements-reply-to-open-letter-by-john-malamatinas/).
Zum Jahrestag der Wahl von Syriza führte die Presseagentur Bloomberg ein Interview mit Varoufakis über die Lage in Griechenland und über seine Sicht der britischen Brexit-Debatten, also des angedrohten Austritts Britanniens aus der EU. Das Interview ist kurz und sehr informativ, auch in Sachen Diskussion in Britannien selbst. Varoufakis hält die Mitgliedschaft Britanniens in der EU für sehr wichtig, auch im Hinblick auf eine Demokratisierung der EU. Seine Gespräche zu DiEM25 haben in einem sehr breiten Spektrum stattgefunden. Alle sollten in dieser Demokratisierungsbewegung teilnehmen können, auch Konservative und auch BritInnen (http://www.bloomberg.com/news/videos/2016-01-26/yanis-varoufakis-missed-chance-to-stabilize-greece).
Für eine politisch so breit abgestützte DiEM25-Bewegung, wie sie Varoufakis in diesem Interview schildert, ist die aktuelle Website vielleicht etwas arg rot ausgefallen.
Aber ist sie rot genug? Innerhalb der linken Netzwerke stellt sich seit einem Jahr immer wieder die Frage, welches Verhältnis Varoufakis zur radikalen Linken hat. Wo der Mann denn eigentlich steht. Dazu wurde schon im März 2015 der griechische Ökonom Costas Lapavitsas, der damals ebenfalls als Syriza-Abgeordneter gewählt worden war, befragt. Lapavitsas ist heute Mitglied der von Syriza abgespaltenen «Volkseinheit». Er antwortete damals: Dass Varoufakis mit keynesianischen Argumenten operiere, sei nicht das Problem, sondern dass er nicht wirklich ein linker Aktivist sei. Er sei ein Linker aber kein Revolutionär. Wenn es um Wirtschaftspolitik geht, dann geht es auch für den Aktivisten und Politökonomie-Professor Lapavitsas nicht ohne Rückgriff auf keynesianische Theorien: «Ich kann Varoufakis nicht wirklich dafür kritisieren, dass er sich mit Keynesianern verbindet, da ich das auch schon gemacht habe, offen und ausdrücklich. Falls Sie mir einen anderen Weg zeigen können, wie man es machen könnte, wäre ich entzückt. Aber ich versichere Ihnen, nachdem ich viele Jahrzehnte an einer marxistischen ökonomischen Theorie gearbeitet habe, dass es einen solchen anderen Weg gegenwärtig nicht gibt. Ja, Varoufakis hat mit Keynesianern zusammengearbeitet. Aber das ist an und für sich noch nicht verdammenswert.» (https://www.jacobinmag.com/2015/03/lapavitsas-varoufakis-grexit-syriza/)
Der etwas peinliche offene Brief des Aktivisten John Malamatinas (http://www.neues-deutschland.de/artikel/997941.lieber-yanis-willkommen-in-der-bewegung.html) spricht Bände: «Ernsthaft wird in unseren Kreisen gefragt: Hat sich dieser Varoufakis je mit jemanden aus der Basis der Anti-Austeritätsbewegung in Griechenland, Deutschland und Europa ernsthaft unterhalten, bevor er diesen Aufruf startete? Denkt er nicht, dass auf die gewiefte Idee, eine Bewegung für ein anderes Europa zu kommen, auch schon andere gekommen sind?» Die Antwort von Varoufakis ist ebenso peinlich: Er rechtfertigt sich mit Hinweisen auf seine Vergangenheit als Aktivist (http://yanisvaroufakis.eu/2016/01/17/diem-and-the-movements-reply-to-open-letter-by-john-malamatinas/). Warum rechtfertigt er sich?
Ähnliche Fragen treibt die Zeitung «Neues Deutschland» in einem Interview mit Varoufakis um – es ist im Übrigen ein interessantes Interview vom 1. Februar 2016 und zudem auf Deutsch (http://www.neues-deutschland.de/artikel/1000107.wir-erleben-zeiten-wie.html). Die Schlussfrage der InterviewerInnen:
«Neues Deutschland»: «Es gibt von Blockupy über Attac und Altersummit bis zur Europäischen Linken viele andere Akteure in Europa, die bereits für Demokratie kämpfen. Was machen diese falsch, was DiEM25 besser machen wird?»
Varoufakis: «Nichts. Jede Bewegung hat ihre Grenzen. Auch DiEM25 wird irgendwann an ihre Grenzen kommen. Vielleicht ist es auch eine Blase, die gleich am 10. Februar wieder platzt, und am 11. Februar entsteht eine neue Bewegung. Wenn das nicht funktioniert, versuchen wir etwas Anderes.»
Wir warten also ab bis zum 11. Februar.
Worauf wir nicht warten müssen: Im Verlauf des letzten Jahres, seit der Wahl von Syriza, hat sich innerhalb des «Links-von-Spektrums» (links von den sozialdemokratischen und grünen Parteien), auch innerhalb der europäischen Netzwerke, eine breite und kontroverse Debatte entwickelt, nicht nur über die Zukunft des Euro und dessen Demokratisierung, sondern auch über die politischen Wege, welche in dieser Sache einzuschlagen sind. Darüber liefert der Artikel von Klaus Dräger in der Zeitschrift Marxistische Erneuerung (Nr. 104 vom Dezember 2015) einen sehr lesenswerten Überblick (http://www.zeitschrift-marxistische-erneuerung.de/article/2975.die-europaeische-linke-nach-dem-kampf-um-griechenland-plan-a-plan-b-plan-c.html).
Ich habe den Eindruck, dass das Manifest von DiEM25 alle diese Debatten unter dem Etikett Demokratisierung von Europa bündeln soll. Die politökonomische Kontroverse um die Zukunft des Euros wäre Teil davon, aber nur ein Teil.