Die Eurogruppe bleibt hart – wie bisher

Mascha Madörin zur Griechenland- und Eurokrise


10. November 2015

Von der Flüchtlingskrise überschattet, wird Griechenland durch die jüngsten Sparmassnahmen weiter stranguliert. Gleichzeitig wirbt Yanis Varoufakis für eine Demokratisierung der Euro-Institutionen.

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Das griechische Parlament hat am 6. November wiederum einer Reihe von Gesetzen zugestimmt, um weitere Teilzahlungen der vereinbarten 86 Milliarden Euro zu erhalten, die innerhalb von drei Jahren in kleinen Tranchen nach Erfüllung von Reformvorschriften von der Eurogruppe ausbezahlt werden sollen. Ausnahmslos ist jeder Euro für Schuldendienste und die Rückzahlung von Schulden bestimmt, nichts für Investitionen oder für die Verbesserung der sozialen Lage. Diesmal ging es um die Neuberechnung von Pensionen, sprich: weitere Senkungen, um die Aufhebung von Steuererleichterungen für Bauern und um neue Energieregelungen. Die Syriza-Regierung versucht, in einzelnen Punkten des Memorandums etwas abgeschwächte Vereinbarungen zu erzielen: Vor allem möchte sie bei Zwangsvollstreckungen im Fall nicht bezahlter Hypotheken moderatere Regelungen sowie weniger hohe Mehrwertsteuern für Privatschulen. Das erste Mal drohte der Koalitionspartner ANEL (Partei der unabhängigen Hellenen) mit einem Boykott der Parlamentsabstimmung und damit womöglich deren Scheitern, als es um eine Sondersteuer für kleine Bierbrauereien ging. Diese Massnahme musste die Regierung aus dem Gesetzeskatalog herausnehmen, aber sie muss für den geplanten Steuerausfall neue Einnahmequellen finden. Ob Griechenland von der Troika demnächst weitere zwei Milliarden Euro ausbezahlt werden, wird noch diese Woche von der Eurogruppe entschieden. Diese zwei Milliarden werden dafür benutzt werden, ausstehende Rechnungen der Regierung zu begleichen. Immerhin ein bisschen mehr Geld, das in den Kreislauf der nationalen Wirtschaft gerät.

Wer die Liste der Massnahmen ansieht, die in den verschiedensten Varianten noch mehr Geld aus der Wirtschaft und der Bevölkerung herauspressen sollen, dem wird schnell klar, dass es so nicht funktionieren kann und alles noch schlimmer wird. Die Grössenordnung der Misere spricht für sich: Man rechnet, dass etwa 320’000 Familien ihre Hypothekarschulden nicht mehr bedienen können und von Zwangsenteignungen bedroht sind. Elektrizitätsrechnungen von rund zwei Milliarden Euro sind gegenüber öffentlichen Energieversorgern ausstehend. Viele Leute haben schlicht kein Geld mehr. In einer Depression wirken alle Massnahmen besonders schlimm, welche die Produktion betreffen, sowie nicht bezahlbare Steuern, weil sie zu hoch sind. An erster Stelle müssen hier die erhöhten Mehrwertsteuern im Tourismus genannt werden. Den Bauern sollen die Dieselpreise für ihre Fahrzeuge um das Dreieinhalbfache erhöht werden, und alle Unternehmen sollen noch vor Ende des Jahres die Steuern fürs nächste (!) Jahr bezahlen, aufgrund von vorgezogenen Einkommensschätzungen. Für 2016 wird folgerichtig ein weiterer Rückgang des Bruttoinlandsprodukts erwartet. Das heisst, die Wirtschaftsdepression wird noch grösser. Die griechische Regierung erhofft sich nun etwas mildere Bedingungen bei der Umsetzung der Vereinbarungen angesichts der Flüchtlingssituation. Ihr wurde inzwischen versprochen, dass über 100’000 Flüchtlinge in andere Aufnahmeländer transportiert werden. Im Rahmen dieses Abkommens haben bisher gerade mal 16 Personen nach Norwegen weiterreisen können …

Bis Ende Jahr geht es um zwei entscheidende Fragen bei den Verhandlungen mit der Eurogruppe:

1. Rekapitalisierung der Banken

Ein Stresstest der Europäischen Zentralbank Ende Oktober erwies sich als weniger schlimm, als befürchtet. Bis Ende Jahr müssen vier griechische Banken ihre Kapitalisierung um 14,5 Milliarden Euro (und nicht wie befürchtet um über 20 Milliarden) erhöhen, sei es durch private Investitionen, sei es durch Staatsbeiträge. Bei der einen Bank muss das Kapital um über 80 Prozent erhöht werden … Entsprechend werden die Aktien entwertet. Bei über 50 Prozent der Kredite (vor ein paar Monaten waren es noch rund 40 Prozent), welche die griechischen Banken vergeben haben, sind Schuldendienste oder Rückzahlungen ausstehend oder gefährdet.

Yanis Varoufakis, der frühere Finanzminister, hatte statt einer Rekapitalisierung der Banken die Einrichtung einer Bad Bank vorgeschlagen, wo alle toxischen Kredite vereint werden sollten. Dafür sollten die Euro-Unterstützungsgelder verwendet werden. Erst dann sollte überprüft werden, inwieweit die Banken mehr Kapital brauchen. Das wurde abgelehnt. Die Eurogruppe hat am 9. November getagt und nochmals festgehalten, dass zuerst die Banken rekapitalisiert und die fälligen Schuldendienste der Hypothekarkredite eingetrieben werden müssen, bevor über eine Bad Bank verhandelt werden kann. Für die griechische Wirtschaft wäre aber wichtig, dass die Banken möglichst schnell wieder regulär Kredite vergeben können, was sie mit so vielen faulen Krediten nicht können. Unternehmen können zum Teil nicht produzieren, weil es nicht mehr möglich ist, für den normalen Geschäftsverlauf Kredite zu bekommen, auch wenn sie volle Auftragsbücher aufweisen. Von Seiten der Eurozone stehen ursprünglich 25 Milliarden Euro für die Rekapitalisierung der Banken zur Verfügung (wenn der Staat Aktien kauft). Am 9. November hat die Eurogruppe sich zudem geweigert, die zwei Milliarden Euro und den Beitrag zur Rekapitalisierung freizugeben, bevor die griechische Regierung nicht die Uneinigkeit mit der Troika in Sachen Zwangsmassnahmen gegen HausbesitzerInnen beseitigt, die ihre Hypothekarschulden nicht bedienen. Die griechische Regierung will HausbesitzerInnen mit niedrigem Einkommen und Vermögen vor Zwangsausweisungen schützen. Der Streit geht darum, wie arm Familien sein müssen, um nicht aus ihren Häusern rausgeworfen zu werden. Die Eurogruppe ist dabei für möglichst eng gefasste Bedingungen. Zudem werden für die Rekapitalisierung der Banken nur zehn Milliarden Euro bereit gestellt – von den provisorisch vorgesehenen 25 Milliarden des Bailout-Vertrags. Es ist also so, dass in Griechenland für die Rekapitalisierung der Banken über vier Milliarden Euro intern aufgetrieben werden müssen. Angesichts der wirtschaftlichen Situation keine Kleinigkeit. Dazu kommt: Auch wenn die Banken rekapitalisiert sind, ist das Problem der faulen Kredite noch nicht gelöst. Eine der grossen Kontroversen zwischen der griechischen Regierung und der Eurogruppe liegt seit Beginn der Syriza-Wahl im Januar weniger in der Analyse der Missstände und des Reformbedarfs in Griechenland, als in den Konzepten, in welcher Reihenfolge wirtschaftspolitische Massnahmen zu realisieren sind, damit Griechenland aus der Depression herauskommen kann. Aber vielleicht will die Eurogruppe gar nicht, dass Griechenland aus dem Schlamassel findet. Jedenfalls wird dies von linken KritikerInnen der Syriza-Regierung von Anfang an vorgeworfen, dass sie zu sehr an ein gemeinsames Interesse der Eurogruppe geglaubt habe, dass Griechenland sich wirtschaftlich erholt und damit fähig wird, möglichst viel seiner Schulden zurückzuzahlen.

Mehr zur Sitzung der Eurogruppe vom 9. November: http://www.theguardian.com/business/2015/nov/09/greece-told-to-do-more-on-reforms-before-it-gets-next-bailout-payment und Guardian Live mit vielen Details zur Sitzung: http://www.theguardian.com/business/live/2015/nov/09/greece-battles-with-creditors-bailout-eurogroup-live

Ab Januar 2016 treten neue Regelungen auf Euro-Ebene in Kraft. Ab dann droht ein sogenannter Bail-In, wie das für Zypern der Fall war: Guthaben von Bankkunden können zur Sanierung der Banken beigezogen werden. Marcello Minenna, Ökonomieprofessor in London, befürchtet, dass Griechenland auch diesmal von der Eurogruppe dazu missbraucht werden könnte, um ganz Euroland klar und unmissverständlich zu zeigen, dass die neuen Bankenregelungen (der Pseudo-Euro-Bankenunion) unerbittlich durchgesetzt werden (http://www.socialeurope.eu/2015/11/new-countdown-for-greece-a-bank-bail-in-is-looming/ ). Wiederum hat Griechenland den von der Troika geforderten Massnahmekatalog nicht zur vollen Zufriedenheit durchgepaukt und hat nun maximal fünf Tage Zeit, dies zu tun. Es wird sich demnächst erweisen, ob die Eurogruppe noch weitere Haare in der griechischen Reformsuppe finden wird, um die Bankenkapitalisierung in Griechenland bis ins nächste Jahr zu verzögern. So ganz unbegründet ist die Befürchtung Minennas leider nicht.

Die Gründe für weitere demonstrative Massregelungen sind nicht verschwunden: Das Aufkommen einer neuen Linken ist immer noch gefährlich für die gegenwärtigen Euro-Machthaber. Sie sehen sie als Bedrohung der europäischen Stabilität, die aus ihrer Sicht nur aufrecht erhalten werden kann, wenn sich alle an die Verträge und die darin festgeschriebene Politik der Austerität und Lohnanpassung nach unten halten. Nun kommt, neben Griechenland und Spanien, auch noch der Regierungsanspruch einer linken Koalition in Portugal. Eine Mail-Leserin (vielen Dank!) hat mich auf einen interessanten Artikel über die Linksbewegungen respektive Parteien in diesen drei Ländern hingewiesen: http://derstandard.at/2000025024624/Linksparteien-in-Europa-Die-Saat-der-Sparmeister.

2. Umstrukturierung der Schulden

Wenn bis Ende November die griechische Regierung die berüchtigten 48 Punkte des Memorandums zur Zufriedenheit der Eurogruppe erfüllt hat, dann sollen Verhandlungen über eine Schuldenumstrukturierung beginnen. Inzwischen ist von Seiten der Eurogruppe nur noch von einer Umstrukturierung der Schulden die Rede. Nur die USA reden noch von Schuldenstreichung, dazu verlangt auch der IWF eine substantielle Verkleinerung der Schuldenlast. Die USA haben erst kürzlich wieder angemahnt, Griechenland brauche eine Schuldenreduktion, um aus der Depression herauszukommen. Im IWF ist die Rede von einem Aufschub der Rückzahlung um bis zu 40 Jahre und von einer Aussetzung von Zinszahlungen für die nächsten 20 Jahre.

Klaus Regling, Geschäftsführer des Europäischen Stabilitätsmechanismus (ESM), sieht das ganz anders. Er hält eine Schuldenumstrukturierung für unnötig. Zum einen seien die ESM-Schulden der Griechen sehr viel langfristiger als diejenigen gegenüber dem IWF. Dank sehr niedriger Zinsen habe Griechenland jetzt von allen Ländern schon die besten Bedingungen. Regling argumentiert, dass er in seinen Kontakten mit Investoren feststelle, diese wären bereit, in Griechenland zu investieren, weil sie ja darauf zählen können, dass Griechenland die Schulden bezahlt. Allerdings meint er damit Investoren, die griechische Bonds kaufen, und nicht Investoren, welche in die griechische Produktion und in Dienstleistungen investieren. Aber auch da meint er, dass diese Investoren durchaus eine sichere Perspektive haben, wenn die griechische Wirtschaft wieder zu wachsen beginne.

Varoufakis argumentiert hingegen für eine massive Schuldenumstrukturierung. Sie sei unabdingbar, damit Griechenlands Wirtschaft wieder zu wachsen beginne. Durch die hohe Schuldenlast drohe der Staat immer wieder in eine Schuldendienstkrise zu geraten. Jeder fürchte sich vor neuen Steuererhöhungen wegen der hohen Schuldenlast. Kein Investor, der bei Sinnen sei, werde in Griechenland investieren, wenn in drei Jahren eine neue Schuldenkrise drohe. Es geht auch darum, dass Griechenlands Staat nicht ständig Primärüberschüsse erzielen muss, wie das nun im Memorandum ab 2018 wieder vorgesehen ist – in irrealen Höhen. Varoufakis plädiert immer noch für Umschuldungen, welche die Schuldendienste und -rückzahlungen an das Wirtschaftswachstum Griechenlands koppeln.

Mit seinen Vorstellungen gehört Regling zur Fraktion des deutschen Finanzministers Wolfgang Schäuble und damit zu denjenigen, die überzeugt sind, dass das Griechenland aufgezwungene Memorandum zu vernünftigen Reformen und zu Wachstum führen wird. Jedenfalls behaupten sie das. Varoufakis ist der Ansicht, dass es innerhalb der Eurozone Leute gibt, nicht zuletzt der deutsche Finanzminister Wolfang Schäuble, die Griechenland die nicht realisierbaren Reformen aufgezwungen haben, um das Land zu einem Austritt aus dem Euro zu bringen. Denn auch Schäuble (und sein «Hausökonom» Hans-Werner Sinn, Präsident des Münchner ILO-Instituts) halten das Reformprogramm für illusorisch. Letztlich geht es laut Varoufakis um die Aufrechterhaltung und Durchsetzung eines Europrojekts, wie es in den Maastricht-Regeln und den nachfolgenden EU-Verträgen festgeschrieben ist – für eine begrenzte Zahl von Euroländern, die wirtschaftlich und in ihren Vorstellungen über das richtige Wirtschaften ähnlich sind wie Deutschland.

Tsipras hat seine Unterschrift unter das elende Erpressungs-Memorandum mit zwei Gründen gerechtfertigt: Damit sei ein Grexit verhindert worden, und zudem hätten die Verhandlungspartner einer wichtigen Forderung von Syriza, nämlich einer Umstrukturierung der Schulden, zugestimmt. Ob diese beiden Ziele erreicht werden können, ist jedoch alles andere als sicher. Die Verlautbarungen der Eurogruppe sind nicht sehr ermutigend. Ende Jahr wird die Situation klarer sein.

Varoufakis auf Tournee

Inzwischen tourt und referiert Yanis Varoufakis in westeuropäischen Ländern: in Frankreich, Italien, England, Irland (http://.irishtimes.com/business/economy/ireland-no-paradigm-of-successful-austerity-varoufakis-1.2418865), Spanien, Portugal, Deutschland und Österreich (Liste siehe Eintrag 28. Okt.: vom 23. August bis 16. November fanden rund 25 öffentliche Veranstaltungen statt). Der Andrang zu seinen Referaten ist jeweils sehr gross, vielleicht ähnlich zu den Veranstaltungen mit Pierre Bourdieu im Jahr 2000 über eine europäische Vernetzung des Kampfs gegen die Arbeitslosigkeit. Viele der Auftritte von Varoufakis sind auf seiner Website (http://yanisvaroufakis.eu) dokumentiert. Die Botschaft ist immer dieselbe: Es braucht dringend eine Bewegung zur Demokratisierung der Euro-Institutionen. Die EU wird von einer inkompetenten und dysfunktionalen «Geheimgesellschaft» regiert, und das ist brandgefährlich. Geht es weiter wie bisher, so droht eine zunehmende Fragmentierung Europas. Es ist wichtig für die EinwohnerInnen der Eurozone zu wissen, wie skandalös schlecht und willkürlich sie von der Eurogruppe regiert werden. Varoufakis ist inzwischen überzeugt, dass ein kleines Land wie Griechenland keine Chance hat gegenüber den Euro-Autokraten. Es braucht eine paneuropäische Bewegung zur Demokratisierung des Euro, die dafür sorgt, dass die Verantwortlichen für ihre Europolitik demokratisch, d.h. öffentlich zur Rechenschaft gezogen werden. Das wäre seiner Ansicht nach ein erster wichtiger Schritt. Es wäre schon viel, wenn die Eurogruppe Protokolle hätte oder wenn ihre Sitzungen live übertragen würden. Eine gute Idee.

Varoufakis hat angekündigt, noch vor Weihnachten werde ein Dokument zur Demokratisierung des Euro veröffentlicht und zur breiten Diskussion gestellt als Auftakt zu einer paneuropäischen Vernetzung. Mehr zu den Positionen von Varoufakis, wie sie in seinen zahlreichen öffentlichen Auftritten zum Ausdruck kommen, und zu den Plänen einer paneuropäischen Bewegung zur Demokratisierung des Euro später …


Mascha Madörin, Ökonomin, viele Jahre Koordinatorin des Südafrika-Boykotts in der Schweiz, Arbeit bei der Aktion Finanzplatz Schweiz. Seit den 1980er-Jahren Arbeit zur feministischen Wirtschaftstheorie und -politik, Spezialistin für Care Ökonomie. Zahlreiche Publikationen in Büchern und Zeitschriften.



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