Schwierigkeiten sozial-ökologischer Transformation

Obwohl die ökologische Krise in jüngerer Zeit durchaus politisiert worden ist und auch im herrschenden Diskurs als Problem wahrgenommen wird, scheinen sich die ihr zugrunde liegenden Produktions- und Konsummuster – mit staatlich-politischer Unterstützung (siehe etwa die fossilistischen Energie- und Mobilitätspolitiken) – in den Zentren des Kapitalismus zu verfestigen. Und mehr noch: Sie breiten sich global aus. Diese Ausbreitung bedeutet nicht, dass alle Menschen gleich leben, sondern dass es eine Art allgemein akzeptierter Entwicklungslogik gibt, aufgrund der bestimmte Vorstellungen von „gutem Leben“ und gesellschaftlicher Entwicklung tief verankert sind.

Teil der ökologischen Krise ist dabei eine imperiale Lebensweise der Länder des Nordens sowie der globalen Mittel- und Oberschicht, die auf intensivem Rohstoff- und Naturverbrauch ebenso beruht wie auf der Ausbeutung „billiger“ Arbeitskräfte vor allem im globalen Süden. Das Bestreben, den Zugriff auf die dafür nötigen Ressourcen zu sichern, wenn nötig auch mit militärischen Mitteln, ist Teil offizieller Politik beispielsweise in Deutschland und der EU. Gleichzeitig führen die Finanz- und Wirtschaftskrise und die darauf folgenden Sparprogramme dazu, dass sich auch im globalen Norden immer weniger Leute den Lebensstil der globalen Eliten leisten können. Aus mehreren Gründen liegt es also nahe, die imperiale Lebensweise im Zuge der multiplen Krisen zu hinterfragen und im besten Fall fundamental zu ändern.

Mit dem Begriff der „imperialen Lebensweise“ kann dabei erstens der (scheinbare) Widerspruch erklärt werden, dass es einerseits zu einer realen und gesellschaftlich breit anerkannten Zunahme ökologischer Krisenphänomene kommt, andererseits die gesellschaftspolitischen Maßnahmen zur Bekämpfung dieser Krisenphänomene aber unzureichend sind.

Die imperiale Lebensweise – und damit meinen wir immer auch die Produktionsweise – war bereits Teil der Kolonialisierung ab dem 16. Jahrhundert und des liberal-kapitalistischen Weltsystems des 19. Jahrhunderts, beschränkte sich in diesen Perioden jedoch auf die oberen Klassen. Das heißt, sie war nicht in dem Sinne hegemonial, dass sie die Reproduktion der Bevölkerungsmehrheit und damit deren Alltagspraktiken prägte. Erst ab Mitte des 20. Jahrhunderts verankern sich die kapitalistischen Naturverhältnisse über die imperiale Lebensweise gleichsam in den Alltagspraktiken der Bevölkerungsmehrheit im globalen Norden: Automobilität, Fleischkonsum, industriell gefertigte Produkte oder das Wohnen im Einfamilienhaus.

„Imperial“ ist die Lebensweise des globalen Nordens insofern, als sie einen prinzipiell unbegrenzten – politisch, rechtlich und/oder gewaltförmig abgesicherten – Zugriff auf Ressourcen, Raum, Arbeitsvermögen und Senken (1) andernorts voraussetzt. Die Produktivitäts- und Wohlstandsentwicklung in den Metropolen basierte dabei lange Zeit auf einer für diese sehr vorteilhaften Welt-Ressourcenordnung. Das immense Wachstum setzte die starke Vernutzung fossiler Rohstoffvorkommen (Kohle und zunehmend Erdöl) und der globalen Schadstoffsenken voraus. Wichtig war ein ständiger relativer Überfluss an preisgünstigen natürlichen Ressourcen auf den Weltrohstoff- und Weltagrarmärkten. Die militärische und politische Dominanz der USA hatte relativ stabile weltpolitische Verhältnisse zur Folge, was sich auch im geregelten Zugriff auf billige Ressourcen wie Erdöl niederschlug.

Im Globalisierungsprozess vertiefte sich die imperiale Lebensweise in zweifacher Richtung: Zum einen wurde der Zugriff auf die globalen Ressourcen und Arbeitskräfte über den Weltmarkt restrukturiert und intensiviert. Das hängt damit zusammen, dass die vormals im Norden existierenden fossilistischen Konsummuster die Wirtschaftskrise der 1970er Jahre nicht nur unbeschadet überstanden, sondern sich in der Folge sogar noch intensivierten. Darüber hinaus nahm der Flugverkehr im Zuge seiner Liberalisierung enorm zu, durch die Globalisierung wuchs der Zugriff auf billige Industrieprodukte, die industrialisierte Landwirtschaft expandierte. Zum anderen bildeten sich in einigen Ländern wie China oder Indien große Ober- und Mittelklassen heraus, die sich an der „westlichen“ Lebensweise orientieren.

Wenn wir die fordistische und postfordistische Lebensweise als „imperial“ bezeichnen, wollen wir damit nicht die machtvollen, auf offener oder struktureller Gewalt beruhenden Strategien leugnen oder geringschätzen, die spätestens im Anschluss an den 11. September 2001 wieder an Bedeutung gewonnen haben. Auch wollen wir nicht abstrakt und mit moralischer Geste den Lohnabhängigen in den kapitalistischen Metropolen und den Mittel- und Oberklassen in den so genannten (semi-)peripheren Ländern ihre Konsumgewohnheiten bzw. ihren Lebensstil vorhalten. Die Spaltungslinien – zwischen Nord und Süd, zwischen oben und unten, zwischen den Geschlechtern – bleiben erhalten und werden gerade auch über den Ressourcenverbrauch reproduziert. Allerdings halten wir den Begriff „imperiale Lebensweise“ für geeignet, um eine Verbindung zwischen breit akzeptierten und gelebten Alltagspraktiken der Menschen, ökologischer Krise und zunehmenden imperialen Spannungen in der internationalen Politik deutlich zu machen.

Die Normalität der imperialen Lebensweise wirkt als Filter der Krisenwahrnehmung und Krisenbearbeitung. So wird zumindest im globalen Norden die ökologische Krise primär als Umweltproblem und nicht als umfassende gesellschaftliche Krise wahrgenommen. Das ermöglicht die Dominanz marktförmiger Muster der Krisenbearbeitung (wie etwa des Emissionshandels in der Klimapolitik), die auch von den BefürworterInnen einer weiterreichenden ökologischen Modernisierung bzw. eines „Green New Deal“ nicht grundsätzlich in Frage gestellt werden. Der im globalen Norden vorherrschende Krisendiskurs erkennt also die Existenz einer ökologischen Krise an, politisiert und bearbeitet sie aber auf eine Weise, welche die ihr zugrunde liegenden Produktions- und Konsummuster gerade nicht zur Disposition stellt, sondern – nicht zuletzt durch ihre selektive ökologische Modernisierung – verstetigt.

Der Umgang mit der ökologischen Krise steht im Schatten der Bearbeitung der aktuellen Finanz- und Wirtschaftskrise. So suggerieren die VerfechterInnen einer „grünen Ökonomie“, dass mit einer ökologischen Modernisierung neue Wachstumsperspektiven eröffnet, Arbeitsplätze geschaffen und gleichzeitig energiepolitische Abhängigkeiten sowie umweltpolitische Probleme gelindert werden könnten.

Während die VerfechterInnen der grünen Ökonomie die ökologische Modernisierung als Vehikel eines imaginierten Wirtschaftsaufschwungs propagieren, mehren sich die Stimmen, die Ökonomie und Ökologie gegeneinander ausspielen. So stellte im Vorfeld des EU-Energiegipfels im April 2013 Energiekommissar Oettinger sowohl das Tempo des Ausbaus von erneuerbaren Energien als auch die Klimaschutzziele der EU infrage. „Und wir müssen uns überlegen, ob wir uns von absoluten Zielen verabschieden und stattdessen etwa den Treibhausgasausstoß in Relation zum Wirtschaftswachstum mindern“, äußerte sich Oettinger am 2. April dieses Jahres auf faz.net. Das heißt nichts anderes, als dass die Treibhausgasemissionen absolut gesehen weiter steigen dürfen, dass die Sorge um den Klimawandel im Zeichen der Wirtschaftskrise hinter die Sicherung der Wettbewerbsfähigkeit zurückzutreten hat und dass der überproportionale Zugriff des globalen Nordens auf die CO2-Senken der Erde, mithin das Recht des Stärkeren, legitim ist und folglich selbstbewusst gegenüber den Aufsteigern des globalen Südens behauptet werden sollte.

Ob in ihrer grünen oder in ihrer fossilistischen Variante – die imperiale Lebensweise ist also tief in die gesellschaftlichen Praktiken eingelassen. Sie hat sich in die staatlichen Institutionen eingeschrieben und prägt die übergreifenden gesellschaftlichen Orientierungen – Stichwort „Wettbewerbsfähigkeit“. In der aktuellen Krisensituation und ökonomischen Verunsicherung stellt sie damit ein wichtiges Moment des gesellschaftlichen Konsens’ dar, der durch die grundlegenden Asymmetrien im Nord-Süd-Verhältnis materiell unterfüttert wird.

Gleichzeitig schärft das Konzept der imperialen Lebensweise den Blick für die Voraussetzungen, Ansatzpunkte und Formen einer emanzipatorischen Politisierung der ökologischen Krise. Selbst wenn die Zeit drängt, gilt es, am komplizierten und widersprüchlichen Projekt der Emanzipation festzuhalten und sich autoritären und technokratischen Formen der Krisenbearbeitung zu widersetzen, wie derzeit sie offensichtlich an Bedeutung gewinnen.

Der Begriff der imperialen Lebensweise bedarf der Präzisierung. Zu fragen ist etwa, welche „imperialen Anteile“ unterschiedliche Herrschaftsverhältnisse entlang von Klassen-, Geschlechter- oder ethnisierten Linien haben und welche Widersprüche sich darin jeweils auftun. Auch sollte die imperiale Lebensweise nicht nur auf den Konsum bezogen werden, sondern viel breiter: wie nämlich Menschen mit den vielen Widersprüchen umgehen, unter denen sie leben.

Der Begriff soll nicht die Tatsache übergehen, dass zum einen die Menschen heute von starken kapitalistischen Akteuren entlang von Wertschöpfungsketten mit ihren Profitmotiven zu bestimmten Lebensweisen genötigt werden. Zum anderen gibt es natürlich heute schon viele Alternativen, die sich den Zumutungen der vorherrschenden Lebensweise zu entziehen versuchen. Schließlich sollte stärker berücksichtigt werden, inwieweit es in der aktuellen Krise zu stärkeren Brüchen kommt, als wir annehmen.

Aus einer internationalistischen Perspektive geht es darum, die Ambivalenz von Entwicklungen im globalen Süden anzuerkennen und dazu beizutragen, dass sie kritisch verstanden und emanzipatorisch bearbeitet werden. So können die aktuellen Erfahrungen vieler Menschen in sich industrialisierenden Schwellenländern oder jenen, in denen über linke Regierungen die Ressourcenrenten stärker verteilt werden als früher (etwa in vielen lateinamerikanischen Ländern), nicht aufgrund ihrer problematischen ökologischen Auswirkungen zurückgewiesen werden. Für viele Menschen haben sich in den letzten Jahren die materiellen Lebensverhältnisse spürbar verbessert – allerdings nicht für alle. Entsprechend sollte hierzulande wahrgenommen werden, inwieweit in den jeweiligen Ländern die sozialen und ökologischen Probleme von linken Kräften politisiert werden: als konkrete Widerstände gegen miese Arbeitsbedingungen, ökologische Zerstörung, autoritäre Strategien von „Entwicklung“ für internationale oder nationale Kapitalgruppen in Verbindung mit den Staaten und oft eher zum Wohl der urbanen Mittelklassen.

Gemeinsame Auseinandersetzungen können auch geführt werden im Hinblick auf eine alternative Weltwirtschaftsordnung, die mit der Raserei von Freihandel und Finanzmärkten Schluss macht, wenn möglich Regionalisierung fördert, andere Formen von Produktion wie solidarische Ökonomie zulässt und die für den Weltmarkt produzierten Güter geeigneten Sozial- und Umweltstandards unterwirft.

Solidarität im 21. Jahrhundert und vor dem Hintergrund, dass die imperiale Produktions- und Lebensweise samt ihrer kapitalistischen Treiber überwunden werden muss, bedeutet also auch, sozial-ökologische Transformationsprozesse hierzulande voranzutreiben: Die Arbeit an umfassenden und Orientierung gebenden Perspektiven auf eine herrschaftsfreie, radikal demokratische Gesellschaft und diese an konkrete soziale Kämpfe in den Bereichen Mobilität, Ernährung, Energie oder auch industrielle Konversion (grundlegenden Umbau) rückzukoppeln. Das würde wiederum den enormen Druck auf viele Länder des globalen Südens nehmen, ihre Ressourcen auszubeuten, um sie auf dem Weltmarkt zu verkaufen. Gerade hierfür sensibilisiert das Konzept der imperialen Lebensweise: Wenn die zentralen Bestimmungsfaktoren der ökologischen Krise und ihre macht- und herrschaftsförmigen Bearbeitungsmuster in gesellschaftlichen Kräfteverhältnissen und Alltagspraktiken verankert sind, dann sind diese wichtige Orte gegenhegemonialer Kämpfe.


1) Als Senken werden Ökosysteme bezeichnet, die in der Lage sind, Emissionen zu absorbieren, also z.B. Wälder und Ozeane im Fall von CO2.


Ulrich Brand, geb. 1967, ist Politikwissenschaftler und seit September 2007 Universitätsprofessor für Internationale Politik an der Universität Wien. Er arbeitet an einem Forschungsschwerpunkt zu internationaler Ressourcen- und Umweltpolitik. Ulrich Brand und Markus Wissen haben den Arbeitsschwerpunkt gesellschaftliche Naturverhältnisse der BUKO mitbegründet.




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